Albrecht Dürer

Die drei theoretischen Schriften in den deutschen Ausgaben in

Details

Literatur:
I. Meder, S. 284 f., XXVI/1 A; Schoch/Mende/Scherbaum 274.I. VD 16 D 2856; Bohatta 1 (1a); Dodgson I, 265; Ornamentstichkat., Berlin 4607; Carter-Muir 54; DSB IV, 259f.; Stillwell Science 161.
II. Meder, S. 287 f., XXVIII/1 Ausgabe B; Schoch/Mende/Scherbaum 276. VD 16 D 2854; Bohatta 12; Dodgson I, 343; Hollstein VII, 284; Cockle 766; Jähns 785.
III. Meder S. 288, XXIX/1; Schoch/Mende/Scherbaum 277. VD 16 D 2859; Bohatta 17; Garrison-Morton 149; NLM/Durling 1295; Stillwell Science 622.
Provenienz:
Aus der Sammlung des englischen Architekten und Designers Charles Robert Ashbee (1863-1942), mit seinem Leder-Exlibris auf dem Innendeckel;
Privatbesitz, Schweiz.

Beschreibung

I. Der äußerst seltene Erstdruck der ersten Ausgabe mit den beiden eingeklebten Korrekturen auf Blatt C5 (verso) und K1 (recto) sowie den zwei Einschlagstreifen mit Holzschnitten auf Blatt P4 (verso) und Q1 (recto).
II. Ausgabe B der ersten deutschen Ausgabe
III. Erste deutsche Ausgabe
Bei dem Pergamenteinband mit blindgeprägten Rollen aus dem 2. Viertel des 16. Jhs. dürfte es sich um den Originaleinband handeln. Rolle mit biblischen Motiven: Salvator-Paulus-David-Johannes (nicht bei Haebler), Medaillonrolle mit Köpfen im Profil sowie Einzelblattstempel in konzentrischer Anordnung um ein Mittelfeld.
Wir danken Dr. Bettina Wagner, Bayerische Staatsbibliothek, München, für die freundliche Unterstützung bei der Datierung des Einbands.

Die drei theoretischen Schriften von Albrecht Dürer sind ein epochales Werk der Kunstliteratur und gehören zu den Höhepunkten der europäischen Buchkunst der Renaissance. Sie enthalten die Quintessenz aller wissenschaftlichen Überlegungen Dürers. Mit großer Überzeugung hatte er sich in seinen letzten Lebensjahren der Wissenschaft zugewendet. In der Folge entstanden in diesem Zeitraum weniger Druckgraphiken und Bilder – doch zählen gerade die Arbeiten der letzten Jahre, wie auch die theoretischen Schriften, zu den Höhepunkten in seinem Schaffen.
Vorliegender Sammelband enthält die drei großen Abhandlungen über die theoretischen Grundlagen seines Metiers, die Dürer gegen Ende seines Lebens schrieb. Der künstlerischen Praxis sollte ein theoretisches Fundament gegeben werden und Nordeuropa mit den jüngsten Erkenntnissen der italienischen Renaissance vertraut gemacht werden. 1525 erschien die Unterweisung der Messung, 1527 die Befestigungslehre und 1528 wurde posthum die Proportionslehre publiziert. Der Drucklegung ging eine Jahrzehnte lange intensive Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der Materie voraus. Seit seinem ersten Aufenthalt in Venedig, 1494, hatte sich Dürer mit der Idealproportion des menschlichen Körpers befasst. In der Folge trug er sich mit dem Gedanken, ein umfassendes Lehrbuch der Malerei in deutscher Sprache zu verfassen. Den Anstoß zu seinen Proportionsstudien und Maßverhältnissen hatte Albrecht Dürer bei der Begegnung mit dem venezianischen Maler Jacopo de’ Barbari in Nürnberg erhalten. Dieser wollte ihm das Geheimnis der „aus der Maß gemachten“ männlichen und weiblichen Figur jedoch nicht anvertrauen. So reiste Dürer 1505 ein zweites Mal nach Venedig – dies auch, um sich dort die richtige Behandlung der Perspektive anzueignen. 1523 waren weite Teile der Proportionslehre schon fertig gestellt, als ihm bewusst wurde, dass das Buch ohne die Grundlagen der darstellenden Geometrie von seinem Publikum „nit gruentlich verstanden mag werdenn“, und so stellte er das Vorhaben zunächst zurück, um ihm eine allgemeine Einführung in die Geometrie voranzustellen, die nicht nur „als Grundlage für das Verständnis der in der Proportionslehre verwendeten Maßverfahren dienen sollte, sondern auch die unentbehrliche Voraussetzung für alles künstlerische Schaffen vermitteln sollte“ (Anzelewsky).
In der „Unterweisung der Messung“ werden Perspektivlehre und Geometrie abgehandelt. Dem Leser wird demonstriert, wie Mathematik und Geometrie in der Kunst angewendet werden können, etwa in Architektur und Typographie, sogar in der Herstellung von Sonnenuhren. Dem Festungsbau mit Gedanken zur Architektur, Befestigungs- und Waffentechnik ist der zweite Band gewidmet – im Zeitalter der Türkenkriege war dies sicher nicht ganz unwichtig – doch gibt die Beschäftigung mit dem Thema Dürer Gelegenheit, auch auf diesem Gebiet mit den italienischen Theoretikern wie Leonardo, Alberti, Bramante, Buontalenti, Sanmicheli und Filarete wissenschaftlich gleichzuziehen. In seinem Hauptwerk, der Proportionslehre, wird die Proportionslehre Vitruvs erweitert durch ein Verfahren, mit dem man menschliche Figuren stauchen und strecken kann. „Mit der Entwicklung derartiger Variationen, die notwendig sind, um diesen Menschentypen individuelle Formen geben zu können, bemüht er sich, im Gegensatz zu seinen italienischen und antiken Vorläufern, den Unterschied zwischen der einmaligen Erscheinung einer Person und den allgemeinen Merkmalen der Gattung, der dieser Mensch angehört, deutlich zu machen. Aus dieser Forderung heraus ergaben sich für Dürer zwei Folgerungen: die Notwendigkeit absoluter Naturtreue und damit in Zusammenhang die Rechtfertigung, auch Hässliches darstellen zu dürfen, jedoch unter der Voraussetzung, dass der Künstler das notwendige Maß an Begabung besäße“ (Anzelewsky).
In seinem Ringen um den Text seiner Bücher hatte Dürer noch eine zusätzliche Schwierigkeit zu überwinden: Die Bücher sollten auf deutsch erscheinen. Viele Fachausdrücke gab es jedoch nur auf lateinisch oder italienisch. So hat sich Dürer, ähnlich wie Luther bei der Übersetzung der Bibel, auch als Sprachschöpfer bewähren müssen. In der Folge war die deutsche Sprache auch als Wissenschaftssprache etabliert.
Auch aus buchkünstlerischer Sicht zählen die drei Abhandlungen zu einem der schönsten Bücher der Renaissance. „Bestechend ist der hohe ästhetische Anspruch an die Gestaltung der Seiten im Miteinander von Text und Bild, der auch um den abstrakten Reiz rein geometrischer Figurationen weiß“ (Schauerte). Laut Hans Rupprich weist das Schriftwerk seinen Schöpfer als den bedeutendsten und originellsten Künstlertheoretiker aus, den die Geschichte außer Leonardo kennt – jener hatte allerdings seine Erkenntnisse nie selbst publiziert. Der Theoretiker Dürer steht keinesfalls hinter dem Künstler zurück. Insbesondere in der darstellenden Geometrie hat er Bahnbrechendes geleistet. Vieles, was er beispielsweise über ebene Kurven und geometrische Transformationsverfahren zum Aufbau zentralperspektivischer Bilder entwickelte, wurde erst von den Mathematikern des 18. Jahrhunderts im Rahmen allgemeiner Theorien wiederentdeckt. Damit war Dürer dem Kenntnisstand seiner Zeit uneinholbar weit, teilweise sogar um Jahrhunderte, voraus. Dies hatte zur Folge, dass seine Forschungsarbeiten lange Zeit teilweise überhaupt nicht wahrgenommen wurden.
Der vorliegende Sammelband eröffnet nun also die Möglichkeit, den Wissenschaftler Dürer in seiner ganzen Komplexität zu erfassen. Zudem ist es äußerst selten, dass sich alle drei Schriften vollständig in einem Band erhalten haben, ohne dass spätere, verändernde Eingriffe zu bemerken wären. Aufgrund der Datierung des Einbands in das zweite Viertel des 16. Jahrhunderts kann davon ausgegangen werden, dass es sich um den Originaleinband handelt. Somit ist vorliegendes Exemplar auch als zeitgeschichtliches Dokument von unschätzbarem Wert. Das Buch stammt aus der berühmten Bibliothek des englischen Architekten, Kunsttheoretikers und Gründers der School of Handicraft Charles Robert Ashbee, einer zentralen Figur der Arts-and Crafts-Bewegung.
Schönes vollständig erhaltenes Exemplar. Vereinzelt schwach fingerfleckig im Bereich der unteren rechten Seiten. Sehr vereinzelt mit kleinen braunen bzw. schwarzen Fleckchen. Heftung und Bünde intakt. Einband mit leichten Bereibungen an der Unterkante und im zentralen Mittelfeld. Die originalen Schließen und Schließenbänder nicht mehr erhalten.

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