Provenienz enthüllt: Provenienzforschung in der Praxis

Unter dem Titel „Provenienz enthüllt“ stellen wir in einer spannenden Beitragsreihe den Umgang mit der Provenienzrecherche vor. In unserem fünften Beitrag berichten wir davon in der täglichen Praxis bei Karl & Faber Kunstauktionen.

Wie ist das konkrete Vorgehen, wenn Karl & Faber ein Kunstwerk eingeliefert bekommt, dass vor Ende des Zweiten Weltkrieges geschaffen wurde? Denn, wenn nachzuweisen oder auch nur zu vermuten ist, dass das Kunstwerk zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 aufgrund der Verfolgung durch den Nationalsozialismus entzogen worden ist, gilt für den Handel die erhöhte Sorgfaltspflicht.

Zunächst wird der Einlieferer befragt – was weiß er über die Herkunft seines Werkes? Wo hat er es gekauft oder wann von wem geerbt? Gibt es Unterlagen oder Expertisen zu dem Werk?

Dann wird das Kunstwerk von uns auch „physisch“ genau untersucht. Hierbei ist vor allem die Rückseite interessant. Gibt es irgendwelche Stempel, Beschriftungen oder Etiketten, die Auskunft über Besitzer, Verkauf, Transport, Ausstellungen oder Lagerung des Werkes geben könnten?

 

Ein paar Beispiele:

Auf der Rahmenrückseite des Gemäldes „Die Sinnlichkeit“ von Franz von Stuck fanden wir die blaue, handschriftliche Nummer „17267“. Diese stammt vom „Central Collecting Point München“, der im Juni 1945 von den Amerikanern in einem ehemaligen Verwaltungsbau des NSDAP am Königsplatz in München eingerichtet worden war – dieser Bau beherbergt heute das Zentralinstitut für Kunstgeschichte. In der Datenbank des CCP auf der Webseite des Deutschen Historischen Museums, Berlin, kann nach diesen Nummern gesucht werden.
Die vollständige Katalogisierung finden Sie hier.

Auf dem Keilrahmen des Gemäldes „Mädchen mit Katze“ von Heinrich Campendonk entdeckten wir ein Klebeetikett mit der Nummer „13906“ – hier handelt es sich um eine sogenannte „EK-Nummer“. Das Gesamtverzeichnis der 1937/38 in deutschen Museen beschlagnahmten, „entarteten Kunst“ wurde seit 2010 auf der Webseite der FU Berlin ins Netz gestellt.

Auch der Aufkleber der Firma „Gustav Knauer“ verrät etwas über die Geschichte des Werkes: Die Spedition Gustav Knauer transportierte viele der 20.000 Objekte aus deutschen Kunstmuseen, die durch das Regime als „entartet“ eingestuft wurden, zu der berüchtigten Ausstellung „Entartete Kunst“ nach München und von dort zur Einlagerung.
Die vollständige Katalogisierung finden Sie hier.

Des Weiteren sehen wir im Werkverzeichnis zum jeweiligen Künstler nach, ob das Werk dort aufgeführt ist. Hier sind oft Provenienzen und Ausstellungen angegeben, die wichtige Hinweise zur Geschichte des Werkes enthalten können. Wurde es in einer Ausstellung gezeigt, so kann der zugehörige Katalog Hinweise auf Leihgeber enthalten. Manchmal haben Museen in ihren Archiven noch Unterlagen zu ihren ehemaligen Sammlungen oder zu Leihgebern.  Wird im Werkverzeichnis ein Auktionshaus genannt, dann suchen wir in Bibliotheken oder online nach dem Auktionskatalog – auch hier werden manchmal Provenienzen aufgeführt. Sehr hilfreich ist die Webseite „arthistoricum.net“ mit einer Datenbank der „German Sales“, für die mehr als 12.000 Auktions- und Verkaufskataloge aus dem deutschsprachigen Raum der Jahre 1901 bis 1945 digitalisiert wurden.

Wie findet man nun heraus, ob die Namen und Institutionen, die bei den Recherchen aufgetaucht sind, in einem problematischen Zusammenhang mit der NS-Zeit stehen? Hierfür recherchieren wir in verschiedenen Datenbanken, ob es sich zum Beispiel um einen sogenannten „Red Flag Name“ handelt oder ob das Kunstwerk als „NS-Raubgut“ gemeldet wurde.

Die Art Looting Investigation Unit (ALIU), eine von der US-Regierung eingerichtete Spezialeinheit, produzierte zwischen 1945 und 1946 eine Reihe von Berichten zum NS-Kulturgutraub – darunter eine Liste beteiligter Personen und Körperschaften, die sogenannten „Red Flag Names“. Sie enthält insbesondere deutsche Kunsthändler, die nachweislich mit dem NS-Kulturgutraub in Zusammenhang stehen. Diese Liste bildet bis heute die Grundlage für erste Verdachtsmomente hinsichtlich NS-Raubgut. Die „Red Flag Names“ des ALIU kann man in der Datenbank „Proveana“ recherchieren.

Die Datenbank „Proveana “ist mit der Datenbank „Lost Art“ verknüpft, in der während der NS-Diktatur entzogenen Kunstwerken dokumentiert werden. Standartmäßig prüfen wir bei allen vor 1945 entstandenen Kunstwerken nach, ob es einen Eintrag bei „Lost Art“ dazu gibt. Zudem werden alle in unseren Katalogen angebotenen Werke mit der Datenbank des „Art-Loss-Register“ abgeglichen.

Finden sich tatsächlich konkrete Hinweise darauf, dass es sich um „Raubkunst“ handelt, dann versucht Karl & Faber zwischen Einlieferer und den Erben des geschädigten Alteigentümers, soweit sich diese finden lassen, eine gütliche Einigung zu erzielen.

Sophie-Antoinette von Lülsdorff