Franz Anton Maulbertsch

Der Abschied Hektors von seiner Gemahlin Andromache

Details

Literatur:
Christof Metzger und Julia Zaunbauer (Hrsg.), Götter, Helden und Verräter. Das Historienbild um 1800, Berlin 2023, S. 36, farb. Abb. 6, S. 38.

Provenienz:
Privatbesitz, Schweiz;
seit 2017 in Privatbesitz, Süddeutschland.

Beschreibung

Franz Anton Maulbertsch, neben Paul Troger der bedeutendste österreichische Maler des Barock, greift am Ende seines langen Lebens Themen des antikenverliebten Klassizismus auf, doch malt er nicht klassizistisch. Auf unserem kleinen Gemälde erzählt er von Hektors Abschied von seiner Frau Andromache und seinem Sohn Astyanax – Hektor ist der Sohn des sagenhaften trojanischen Königs Priamos und jener mythische Held, der Troja in einem zehnjährigen Krieg gegen die Griechen letztlich vergebens verteidigte.
Homer schildert im 6. Gesang seiner Illias diesen Abschied von der Familie sehr anschaulich – ihm zufolge hielt Andromache ihr Kind am Busen, das erschrak, als es die Rüstung und den gewaltigen Helmbusch des Vaters erblickte. Vom diesem Schrecken ist bei Maulbertsch nichts zu spüren – Hektor hat seinen Helm abgelegt, Maulbertsch gibt vielmehr ein beredtes Zeugnis dieser innigen Verbindung, in der die einander zuneigenden Eheleute ein Dreieck bilden, in dessen Zentrum sich Astyanax vom Arm seiner Mutter fast entwindet und den Vater zu umarmen versucht. Es ist eine emotionsgeladene, anrührende Szene, die im Abschied die Hoffnung auf ein Wiedersehen beinhaltet – auch das Männchen machende Hündchen scheint diese Hoffnung auszudrücken, die, wie wir wissen, trügerisch war, denn Hektor wurde im Kampf um Troja getötet und sollte die Seinen nie wiedersehen.
Die bewegende Szene versetzt alle anderen Akteure wie auf einer Bühne in Bewegung – es ist eine drängende und gedrängte Komposition, deren Dringlichkeit von links nach rechts anschwillt: In der linken Hälfte haben sich vor der Kulisse des väterlichen Palastes neben einigen Kriegern vor allem die klagenden Frauen versammelt, die Andromaches Schicksal beklagen, während rechts der Blick ins Freie auf das Skaiische Tor und die Mauern Trojas geht: Alle stehen unter höchster Spannung, der Streitwagen ist bereit, die Rosse bäumen sich auf und sind kaum zu bändigen, die Krieger mahnen zum Aufbruch.
Maulbertsch, der zuvor vor allem als Maler großflächiger Fresken und christlicher Historien Berühmtheit erlangt hatte, wendete sich in seinen letzten Lebensjahren auch Themen aus der griechischen und römischen Geschichte zu, die unter den Vorzeichen des beginnenden Klassizismus auf ein neues Interesse stießen. Bekannt sind Maulbertschs ähnlich bewegte, dramatische Radierungen von Coriolan oder Alexander und Darius, in denen er neue Themen bediente, im kleinen Format seinem barocken Pathos aber treu blieb. Dies gilt auch für unser Gemälde mit dem Abschied Hektors, mit dem Maulbertsch den Anschluss an diese Entwicklungen sucht: Seine kleine Historie ist ein Beispiel für den auch in Wien zunehmend beliebten Bildtypus des Konversationsstückes, vor dem die Betrachtenden in geselliger Runde über das Kunstwerk parlieren und dabei ihre Kenntnisse der antiken Autoren einbringen konnten. Eine wesentliche Rolle bei der Vermittlung dieses neuen Bildtypus spielten Druckgrafiken, vor allem Reproduktionen von Gemälden, und so verwundert es nicht, dass auch Maulbertschs Gemälde durch einen Kupferstich Jacques Nicolas Tardieus nach einem Gemälde gleichen Themas von Antoine Coypel ganz wesentlich angeregt wurde: Von ihm übernahm Maulbertsch vor allem den bühnenhaften Aufbau mit der Kulisse des Stadttores, doch wie er Coypels temperierte, parallel entwickelte Komposition dynamisiert und in Bewegung versetzt, darin drückt sich Maulbertschs Eigenart auf ganz charakteristische Weise aus.
Dr. Peter Prange

Mit einem schriftlichen Gutachten von Professor Dr. Helmut Börsch-Supan, Berlin, vom 22.3.2020.

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