Details

Tschudi 294.

Literatur:
Hugo von Tschudi (Hrsg.), Adolph von Menzel. Abbildungen seiner Gemälde und Studien auf Grund der von der Kgl. Nationalgalerie im Frühjahr 1905 veranstalteten Ausstellung unter Mitwirkung von Dr. F. Schwedeler-Meyer und Dr. J. Kern, München 1905, S. 210, Kat.-Nr. 294, mit Abb. S. 211.

Ausstellung:
Ausstellung von Werken Adolph von Menzels 1905, Königliche Nationalgalerie, Berlin 1905, S. 25, Kat.-Nr. 329;
Galerie Thannhauser, Berlin: Adolph von Menzel. 1815–1905. Ausstellung von Gemälden, Gouachen, Pastellen, Zeichnungen in unserem Berliner Haus Bellevuestrasse 13. April 1928, Kat.-Nr. 72.

Provenienz:
Robert Warschauer (1860–1918), Berlin;
Wohl Daniel B. Grossman Gallery, New York (frühe 1980er Jahre);
Privatbesitz, Deutschland, wohl in obiger Galerie vor 1984 erworben;
Kunsthandlung J.P. Schneider, Frankfurt, verso auf der Rahmenrückwand mit dem verblassten Galeriestempel, der Lagerbuchnummer „5627“ und dem Etikett der Kunsthandlung mit der Beschriftung „05414 A. Menzel“, 1984 von obigem Sammler erworben;
Privatbesitz, Deutschland, 1985, von obiger Kunsthandlung J.P. Schneider erworben;
1986 zurück in Kommission an Kunsthandlung J.P. Schneider, Frankfurt;
von obiger 1998 verkauft;
seitdem in Privatbesitz, Süddeutschland.

Beschreibung

Ein junges Mädchen lehnt sich auf eine Balustrade, gerade so groß, dass sie die Arme und ihren Kopf bequem auf die Balustrade legen kann. Sie ist festlich gekleidet, in einem blauen Kleid mit roten Rüschen an den kurzen Ärmeln, Frühlingsblumen im nach hinten gekämmten, zum Zopf gebundenen Haar. Sie ist der Mittelpunkt, so hat sie Menzel auch auf dem kleinen Blatt platziert, nur noch die steinerne Balustrade ausgeführt, die sich zu den Seiten wie auch die übrige Umgebung bereits „aufzulösen“ beginnt – nur wenige Pinselstriche deuten rechts einen Busch an, der in den Wasserfarben vergeht, während links hinter dem Mädchen ganz zarte, breit ausgestrichene Pinselstriche weitere Bäume anzudeuten scheinen. Nur die Balustrade ist deutlich erkennbar, sie umgrenzt offensichtlich eine Terrasse, auf die das Mädchen hinausgelaufen und einen Moment für sich allein ist.
Es ist ein Schnappschuss, in dem sich das Mädchen unbeobachtet fühlt, doch Menzel beobachtet es genau – er gibt das Mädchen fast frontal wieder, doch seine Augen sind nach rechts gerichtet – was mag es beobachten, wohin mögen seine Gedanken schweifen? Noch begrenzt die Balustrade sein Tun, doch sein Denken geht schon darüber hinaus – womöglich gehen seine Gedankendenkt bereits darüber hinaus, was jenseits der Kindheit ist? Der subtile Beobachter Menzel öffnet uns hier Gedankenräume, die über das reine Dasein hinausgehen und uns in die Gedankenwelt des Kindes eintauchen lassen.
Das Blatt trug bisher den neutralen Titel „Mädchen an der Balustrade“, doch befand sich auf der Rückseite der Vermerk „Tochter des Stabarztes Dr. Puhlmann (Freund v. Menzel)/in Potsdam“. Friedrich Wilhelm Puhlmann (1797-1882) war in Potsdam als Regimentsarzt tätig und hatte 1828 im Jahr seiner Approbation Constanze Steinert geheiratet, mit der er drei Söhne und eine Tochter hatte, die erstgeborene Sophie (1830-1878). Puhlmann, der 1834 zu den Gründungsmitgliedern des Kunstvereins in Potsdam gehörte, war mit Menzel spätestens seit 1836 bekannt, als er im Herbst in seiner Eigenschaft als Vorstand des Kunstvereins bei dem 20-Jährigen eine Lithografie bestellte, die den Mitgliedern des Kunstvereins gewidmet war. Das war der Beginn einer herzlichen Freundschaft, die Menzel während seiner Arbeit an den Illustrationen zu König Friedrich II. immer wieder nach Potsdam und auch zur Familie Puhlmann geführt hatte.
Bei diesen Gelegenheiten hat Menzel, der immer zeichnete, auch im Hause Puhlmann wiederholt gezeichnet – bekannt ist „Puhlmanns Bücherregal“ (Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett) oder der Hinterhof des Hauses Puhlmann (Hamburger Kunsthalle), beide aus dem Jahr 1844. Er porträtierte seinen Freund und auch dessen Frau, auch mit ihrer Tochter war Menzel vertraut, die für ihn einfach „Sophiechen“ war, und hat sie mehrmals gezeichnet – etwa 1841 und 1844 schon als Jugendliche. Unser Blatt muss früher, um 1837/38, entstanden sein, als Sophie ungefähr acht Jahre alt war – zwar lassen sich auf den verschiedenen Zeichnungen nur allgemeine physiognomische Ähnlichkeiten feststellen, doch ist die Identifikation des Mädchens als Sophie auch deshalb glaubwürdig, weil die Puhlmanns ein Landhaus im Freien mit einer großen, von einer ähnlichen Balustrade umschlossenen Terrasse hatten.
Menzel, der sich nie als Porträtist verstand, hat vor allem in seiner Frühzeit doch immer wieder sein familiäres Umfeld und das seiner engsten Freunde, etwa der Familien Maerker und Arnold, beobachtet und davon Aquarelle geschaffen, die seine Schwester Emilie oder seinen Bruder Richard, aber auch Freunde in Momenten zeigen, in denen sie sich unbeobachtet fühlen. Unser Aquarell nun ist das früheste in dieser Folge der bemerkenswerten Bildnisse von Menzel. – Papier minimal nachgedunkelt. Einzelne winzige Braunfleckchen. Von schöner Erhaltung.
Dr. Peter Prange

Wir danken Dr. Claude Keisch, Berlin, für wertvolle Hinweise bei der Katalogisierung dieses Werks.

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