Caspar David Friedrich

Morgennebel – Böhmische Landschaft

Details

Literatur:
Christina Grummt, Caspar David Friedrich. Die Zeichnungen. Das gesamte Werk, München 2011, vgl. Kat.-Nrn. 899–912 und 928–93.

Provenienz:
Privatsammlung Düsseldorf;
im Erbgang in eine Privatsammlung, Chemnitz.

Beschreibung

Vor 250 Jahren wurde der Erfinder der Romantik, Caspar David Friedrich, in Greifswald geboren, der in Dresden die Kunst für eine neue Zeit schuf – so der Titel der jüngsten Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle. Friedrich hatte sich nach einem Studium an der Akademie in Kopenhagen 1798 in Dresden niedergelassen, wo er die alles beherrschende Figur im Kunstgeschehen in Dresden nach 1800 wurde. Hier vollzog er seinen epochalen Bruch mit den Traditionen des Barock und Klassizismus, hier vereinigte er Landschaft und Religion, hier erschuf er eine Bilderwelt, die den Betrachter forderte und bisweilen überforderte – so radikal modern waren seine auf eine ganz eigene Wirkungsästhetik abzielenden Bilderfindungen. Friedrich hat das „Gewöhnliche“ und „Bekannte“ im Sinne von Novalis „romantisiert“, hat das Motiv der Landschaft überformt und überhöht, hat sie in das Zentrum seiner Ästhetik gestellt, hat sie nicht zuletzt zum Ausdruck seines sakralen Weltverständnisses gemacht.
Auf unserem Aquarell fällt der Blick in eine sich weit in den Tiefenraum erstreckende Landschaft, über eine leicht ansteigende, in horizontale Farbstreifen unterteilte Anhöhe geht der Blick in eine Talsenke, hinter der sich ein Gebirgszug anschließt. Friedrich breitet die Landschaft aus, der Blick wird nicht begrenzt, es ist keine Landschaftskomposition im klassischen Sinne, wo Bäume oder andere Repoussoirs in den Landschaftsraum einführen – bei ihm ist die Landschaft offen, gleichsam „entgrenzt“, auf ihren Ausschnitt, der sich Friedrich bot, beschränkt. Und doch schildert er nicht nur einen einfachen Naturausschnitt, vielmehr ordnet Friedrich sich die Natur einem zeichnerischen System und kompositorischen Kalkül unter: Sorgfältig ist die untere Hälfte des Blattes aus vier horizontalen, flächigen Farbstreifen aufgebaut, die in ihrer abstrahierten Form im Kontrast zu der wellenförmig ausgebreiteten Silhouette der Berge stehen, die Friedrich nur mit der feinen Feder, ohne Farbe, angegeben hat. Unser Aquarell ist ein herausragendes Beispiel dafür, wie Friedrich Natur sieht – Natur sieht bei ihm nicht aus, wie sie ist, sondern wie er sie sieht. Er unterwirft die Natur einem Subjektivismus, wie er nur zur Zeit der Romantik möglich war!
Mit sparsamen zeichnerischen Mitteln entwirft Friedrich deshalb eine Landschaft, die mehr als nur einen Naturausschnitt präsentiert: Genau an der Grenze, dort wo die abstrahierte Form in Naturbeobachtung übergeht, steht auf der Anhöhe ein steinerner Bildstock mit Kreuz. Er ist nicht zufällig genau in der Mitte des Blattes platziert – der Bildstock ist Kraftzentrum des Bildes, es erfüllt das Blatt mit jener religiösen Symbolik, die für Friedrich so charakteristisch ist und durch die eigenhändige, wie ein Titel inszenierte Beschriftung „Morgennebel“ noch gesteigert wird. Nebel ist bei Friedrich weit mehr als nur Wetterphänomen, er unterliegt bei ihm einer ganz eigenen Poesie, die religiöse Züge trägt.
So hat denn auch Helmut Börsch-Supan darauf hingewiesen, dass Friedrich in der Beschriftung nach seiner schweren, 1825/26 durchlebten, aber im Frühjahr 1828 noch nicht vollständig überwundenen Krankheit die Hoffnung äußert, die aufgehende Morgensonne möge den undurchdringlichen Nebel der Nacht, in dem eine Metapher der Krankheit stecken würde, auflösen. Gleichsam als Therapie hätte Friedrich im Frühjahr 1828 eine Wanderung nach Böhmen unternommen, auf der unser Aquarell in der Gegend von Teplitz entstanden ist.
Friedrich war am 9. Mai 1828 nach Teplitz in Nordböhmen zusammen mit August Philipp Clara gekommen, einem aus dem Baltikum stammenden, in St. Petersburg tätigen Kupferstecher und Landschaftsmaler, mit dem Friedrich seit einem Besuch in seinem Atelier zwei Jahre zuvor bekannt war. Sie kamen in eine Gegend, die Friedrich seit 1807 gut kannte. Noch am Tag der Ankunft fertigte Friedrich ein Aquarell von der Ruine auf dem Schlossberg bei Teplitz an (Staatliche Kunstsammlungen zu Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. 1913-33, vgl. Grummt 929) und blieb ausweislich der datierten Aquarelle bis zum 16. Mai in der Gegend (Kopenhagen, Statens Museum for Kunst, Den kongelige Købberstiksamling, Inv.-Nr. KKS 1975-605, vgl. Grummt 912). Unser ebenfalls am 16. Mai entstandenes Aquarell ähnelt in der streifenartigen Erschließung der Landschaft dem Blatt in Kopenhagen – auf beiden Blättern wird der Vordergrund in breit angelegten Pinselzügen in seiner Farbigkeit erfasst. Offensichtlich ging es Friedrich darum, bei dem sich ihm bietenden Landschaftsausblick die Farbeindrücke festzuhalten, die ihm der Morgennebel bot. Die gelben und grünen Streifen des Vordergrundes heben sich ab vom lichten Blau des Mittelgrundes, wo eine kleine Ansiedelung sichtbar ist.
Zu diesen beiden abstrahierten Landschaftsaquarellen gehört ein weiteres Aquarell, das am 10. Mai in der Umgebung von Teplitz entstanden ist (Greifswald, Pommersches Landesmuseum, Inv.-Nr. Gr166/1970.B686, vgl. Grummt 910). Alle drei Blätter weisen das übereinstimmende Format von etwa 128 x 205 mm auf, weshalb Christina Grummt, die Verfasserin des Werkverzeichnisses der Zeichnungen Friedrichs, angenommen hat, sie gehörten ehemals zu einem heute aufgelösten Skizzenbuch. Bisher lassen sich diesem Skizzenbuch 14 im Format übereinstimmende Blätter zuordnen (Grummt 899-912), die teilweise das Wasserzeichen der in Bautzen ansässigen Papierfabrik Carl Friedrich August Fischer tragen. Friedrich hat es zwischen September 1824 und Mai 1828 benutzt, das letzte Blatt ist das am 16. Mai entstandene Aquarell in Kopenhagen, dem sich als 15tes Blatt unser Aquarell zuordnen lässt. Als nach Friedrichs Tod im Dezember 1843 sein Nachlass in Dresden versteigert wurde, war es bereits in Einzelblätter aufgelöst – ob unser Blatt auch dort angeboten wurde, lässt sich allerdings nicht mehr feststellen. – Im Passepartout-Ausschnitt minimal lichtrandig. Farbfrisch und in sehr schöner Erhaltung.
Dr. Peter Prange

Mit einem Gutachten von Prof. Dr. Helmut Börsch-Supan, Berlin, datiert 15.6.2018.

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