Anton Graff

Selbstbildnis vor der Staffelei, dahinter Christoph August Tiedge

Details

Literatur:
Die Kunst für Alle, XXXIX. Jg., München 1923-24, S. 345 (ohne Abb.);
Eberhard Lutze, in: Fränkischer Kurier (Nürnberg), Nr. 336 v. 3.12.1936, mit Abb.;
Ekhart Berckenhagen, Anton Graff. Leben und Werk, Berlin 1967, S. 158, Kat.-Nr. 512.

Ausstellung:
Dresdner Malerei 1750-1850, Galerie Paul Rusch, Dresden 1924.

Provenienz:
Galerie Paul Rusch, Dresden, 1924;
Privatbesitz, Franken (1936);
Privatbesitz, Süddeutschland.

Beschreibung

Es gibt kaum einen anderen Künstler des 18. Jahrhunderts, der sich in Selbstbildnissen so oft selbst beobachtet hat wie der in Dresden als sächsischer Hofmaler tätige, aus der Schweiz stammende Anton Graff. Ekhart Berckenhagen, der Verfasser des Werkverzeichnisses von Graff, führt nicht weniger als 80 Selbstbildnisse auf, darunter gleichsam ikonisch herausragend das berühmte Bildnis in Leipzig, das den Maler in lässiger Pose an der Staffelei arbeitend zeigt, und das nicht minder bekannte Bildnis in Dresden als 58-Jähriger, auf dem sich Graff auf einem Stuhl sitzend, Pinsel und Palette in der Linken, von der Leinwand ab- und dem Betrachter zuwendet. Letzteres hat Graff vor allem als Hüftbild oft wiederholt, und so ist es auch 1797 durch einen Stich des Stuttgarter Kupferstechers Johann Gotthard Müller verbreitet worden.
Auch unser Gemälde geht auf das 1794/95 entstandene Selbstbildnis in Dresden zurück, auf dem sich der Maler in ganzer Figur zeigt. Auch hier hat sich der Maler von der Leinwand ab- und dem Betrachter:in zugewendet, leger den rechten Arm über die Stuhllehne gelegt, schafft sein wacher Blick eine unmittelbare Beziehung zwischen Porträtiertem und Betrachtern. Für diese Unmittelbarkeit der Begegnung wurde Graff von seinen Zeitgenossen gerühmt. Sie erkannten die Größe seiner Porträtkunst darin, dass Graff den ganzen Menschen gemalt hätte – nicht nur dessen körperliche Erscheinung, sondern darin zugleich auch seine Seele. Graffs Blick drang „bis in das Innere der Seele“, wie der Kunsttheoretiker und Freund Graffs, Johann Georg Sulzer, treffend formulierte. Es ist die feine Psychologisierung, die auch aus dem Antlitz des Künstlers spricht, zwischen standesgemäßer Repräsentation und Nachdenklichkeit: Das Gesicht hell ausgeleuchtet, legt Graff sein Antlitz offen, das in den fest zusammengepressten Lippen und den Augenbrauen Wachsamkeit und Anspannung signalisiert. Im Gegensatz dazu steht seine lässige Pose, zu der, wie häufig bei Graff, die „beredten“ Hände gehören, die im Bild „aktiv“ sind: Der über die Stuhllehne gelegte Arm steht dem Betrachter am nächsten, ist nahezu greifbar.
Gegenüber dem Dresdner Selbstbildnis hat Graff das Arrangement seines Bildnisses hier erweitert – während er in Dresden vor einer leeren Leinwand sitzt, arbeitet er hier an einem Ovalbildnis einer Dame, die den damaligen Zeitgenossen wohl bekannt war: Es handelt sich um ein Bildnis der Elisa von der Recke (1754-1833), Salondame und Gelegenheitsdichterin, die Berühmtheit erlangte, als sie 1787 die Scharlatanerien Alessandro Cagliostros entlarvte, der halb Europa beschwindelt hatte. 1795 hatte sie sich das erste Mal von Graff malen lassen, und ihr Bildnis auf unserem Gemälde geht zurück auf eine Zeichnung, die Graff wohl 1798 anlässlich eines Besuchs der Recke in Dresden angefertigt hat (heute Düsseldorf, Goethe-Museum, Kippenberg-Stiftung, vgl. Berckenhagen 1132). Hinter ihrem Bildnis lehnt an einer Kommode, in einem Buch lesend, ein Mann mittleren Alters – es ist der Dichter Christoph August Tiedge (1752-1841), ein Weggefährte ihrer Seele und bekannt durch die Vertonungen einiger seiner Gedichte durch Ludwig van Beethoven. Von der Recke lebte mit Tiedge, der sie auch auf ihrer von 1804 bis 1806 unternommenen Italienreise begleitet hatte, seit 1803 „in ständiger Gemeinschaft mit dem Dichter“ (Berckenhagen).
Beide hatte Graff bereits vor 1800 gemalt und gezeichnet, doch nicht zusammen. Wahrscheinlich hat Graff das Gemälde für einen der beiden gemalt, doch erscheint auch möglich, dass es noch vor der Abreise der beiden nach Italien im Sinne eines romantischen Freundschaftsbildes entstand, das der Maler dann den beiden Reisenden zugeeignet hätte.
Dr. Peter Prange
Mit einem Gutachten von Prof. Dr. Helmut Börsch-Supan, Berlin, datiert 13.9.2023.

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