Johann Heinrich Wilhelm Tischbein

„Wie ich meine Briefe verbrannte“

Details

Provenienz:
Nachlass des Künstlers über seine Tochter Conradine, verheiratete Wallroth;
Lempertz, Köln, Auktion 1197, 21.5.2022, Los 2305;
Privatbesitz, Österreich.

Beschreibung

Im Jahr 1861 wurden von Carl Georg Wilhelm Schiller (1807-1874) als Herausgeber und letztem maßgeblichen Bearbeiter, die teils apokryph geprägten Memoiren des 1829 verstorbenen „Goethe – Tischbein“, „Aus meinem Leben“, publiziert. Die nach Tischbeins Vorgaben, kürzeren Textpassagen, Notizen und Gesprächen konzipierten Texte, die keine genuine eigenständige literarische Leistung des Malers darstellen, sollten ergänzend vom Künstler selbst illustriert werden. Texte und Textfragmente unterschiedlicher Bearbeiter haben sich hierzu im 1983/84 ans Landesmuseum Oldenburg gelangten Tischbein-Nachlass (aus dem Familienbesitz des Künstlers, über den Sohn Peter vererbt) erhalten, ferner auch im Stadtarchiv Braunschweig. Ein Vergleich der Archivalien mit der Edition von 1861 erweist, dass eine Auswahl und eingreifende Bearbeitung der heute noch nachweisbaren Texte erfolgt war. Zur Editionsgeschichte vergleiche das einführende Vorwort des Herausgebers zu: „Aus meinem Leben“, von J. H. Wilhelm Tischbein, hg. Carl G. W. Schiller, Braunschweig 1861, Erster Band, S. III – XL sowie Stefanie Rehm, Die Editionsgeschichte der Lebenserinnerungen von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, in: Oldenburger Jahrbuch 116, 2016, S. 163 – 180.
Auch Tischbeins Bemühungen, seine Lebensgeschichte zu illustrieren, konnte er zu Lebzeiten nur in Ansätzen verwirklichen. (S. hierzu zuletzt Hermann Mildenberger, in: Auktions-Katalog Dorotheum, 4. April 2023, Los 178, S. 136-137). Eine Reihe von illustrierenden Druckgrafiken und Zeichnungen Tischbeins zur eigenen Biografie sind nachgewiesen. (Andreas Andresen, Die deutschen Maler – Radierer (Peintres – Graveurs) des neunzehnten Jahrhunderts, Zweiter Band – Erste Hälfte, Leipzig 1807, S. 28, Nr. 1-4, Nr. 9. – Jürgen Hach, Die Familie im Werk Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins, Kiel 2011 (Privatdruck), S. 4-9, 27.)
Die nachträglich, doch zeitgenössisch, nicht eigenhändig bezeichnete Darstellung „Wie ich meine Papiere verbrannte“, ist diesem autobiografischen Werkprozess Tischbeins zuzuordnen, wenn auch eine entsprechende Textpassage in der auswahlhaften Edition von 1861 nicht zu finden ist. Die Handschrift auf der Zeichnung kennt man aus dem erwähnten schriftlichen Nachlass des Künstlers (jetzt im Landesmuseum Oldenburg), ist dort wiederholt aufzufinden.
Die Zeichnung zeigt in der Tracht des Sturm und Drang und mit Hilfe der Stilmittel dieser Epoche den jungen Künstler, wie er seine Briefe verbrannte; offenbar für ihn eine wichtige frühe Lebensentscheidung. Tatsächlich schuf Tischbein nach eigenen Angaben retrospektiv Selbstbildnisse im Rahmen seiner Lebenserinnerungen: „An meiner Lebensgeschichte habe ich auch gearbeitet, und habe nun noch mein Portrait, als ich 6 Jahr alt war, das will ich dazusetzen, und das, als ich 60 war.“ (zitiert nach Rehm, S. 167). Das melodramatische Sturm-und-dranghafte Element der verbrannten Briefe korrespondiert mit einer Episode, die Johann Wolfgang von Goethe in „Dichtung und Wahrheit“ (Zweiter Teil, Sechstes Buch) über seine eigene Leipziger Studentenzeit berichtet: Aus Verzweiflung verbrannte Goethe auf dem Küchenherd seine bisherigen Schriften. Eigentümlich ähnelt die Konzeption von Tischbeins „Wie ich meine Briefe verbrannte“ zudem atmosphärisch und im Kostüm an die Serie der lange Jahre zuvor entstandenen „Augenblicksbilder“ aus Goethes Leben, die Tischbein als Freund und Mitbewohner der Künstlerwohngemeinschaft am Corso in Rom als Zeugnis der tiefen Verbundenheit mit Goethe von dem noch jungen Dichter im Bild festhielt. – Die linke Blattkante oben ungerade, in diesem Bereich mehrere vertikale Knickfalten. Im unteren Rand links eine vertikale Quetschfalte. Vereinzelt mit winzigen Braunfleckchen. Verso umlaufend mit Montageresten.
Prof. Dr. Hermann Mildenberger

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