Details

Firmenich 812 A.

Literatur:
Biermann, Georg, Heinrich Campendonk, in: Der Cicerone. Halbmonatsschrift für Künstler, Kunstfreunde und Sammler, XII. Jahrgang, 1920, Heft 18, S. 670, mit s/w Abb.

Ausstellung:
Heinrich Campendonk. Josef Eberz, Galerie Flechtheim, Düsseldorf 1920, Kat.-Nr. 48, o. Abb.;
Expressionisme: werken uit de verzameling Haubrich in het Wallraf Richartz Museum te Keulen, Stedelijk van Abbemuseum, Eindhoven 1951/52, wohl Kat.-Nr. 25 („compositie“), o. Abb., verso auf der Rahmenrückwand mit dem Ausstellungsetikett;
einfach. magisch. Die Bildwelten Heinrich Campendonks, Museum Penzberg – Sammlung Campendonk, Penzberg 2018, Sonderausst. o. Kat.

Provenienz:
Sammlung Dr. Josef Haubrich, Köln, direkt vom Künstler erworben, seitdem in Familienbesitz;
Lempertz, Köln 26.11.2013, Los 308;
Privatsammlung, Schweiz.

Beschreibung

• Charakteristische Arbeit Heinrich Campendonks mit expressiver und zugleich harmonisch-ausgewogener Farbigkeit
• Eines der wenigen Motive Campendonks, das die moderne Lebenswirklichkeit thematisiert
• Das Aquarell wird bereits 1920 in der Galerie Flechtheim in Düsseldorf ausgestellt und in der Kunstzeitschrift Cicerone abgebildet

Im Frühjahr 1916 zieht Heinrich Campendonk mit seiner Familie von Sindelsdorf nach Seeshaupt, ein kleines Dorf an der Südspitze des Starnberger Sees. Der von Campendonk 1919 dargestellte Laden, der Fisch und Gemüse anbietet, verkauft die am Ort erzeugten Viktualien. Ein reichhaltiges weiteres Angebot wird sich damals dort nicht gefunden haben, denn nach dem Krieg hörte die schlechte Versorgungslage und vor allem die Teuerung ja nicht auf.

Auf der rechten Seite des Bildes zeigt die Schaufensterauslage ein kleines, durch die Nebeneinanderstellung karg wirkendes Stillleben: eine Schale mit Gemüsen oder Obst, Fische, eine Karaffe, Salat- oder Kohlkopf, Beeren oder Kirschen und eine Pflanze im Topf. In der Bildmitte davor steht ein Mädchen im blauen Kleid und mit blauem Haar, das einen gelb-roten Ballon an einer Schnur hält, dessen semitransparentes Material die dahinterliegenden Buchstaben der Beschriftung über dem Schaufester durchscheinen lässt. Diese Figur hat in Campendonks Werk eine Zwillingsgestalt auf dem ebenfalls 1919 gemalten Gemälde „Kind mit Luftballon“ (vgl. WVZ Firmenich 777, heute Fondazione Gabriele e Anna Braglia, Lugano).

Das Mädchen vor dem Schaufenster schaut den Bildbetrachter aus großen Augen an. Neben ihm ragt aus der linken Ecke eine grüne Frauenfigur schräg ins Bild, die zu schweben scheint; jedenfalls berühren ihre Füße den Boden nicht. Das Auge im seitlich gezeigten Kopf ist ebenfalls auf den Betrachter gerichtet. Ist diese Figur eine Nixe, die aus dem Seewasser kommt? Sie weist mit großer Geste auf die frugalen Gaben des Wassers und des Bodens im Schaufenster; man kann sie als Elementargeist verstehen, sogar als nährende Mutterfigur. Eine geheimnisvolle Komposition, die durch den fliegenden weißen Vogel auf blauem Grund und die stilisierten Blumen abgeschlossen wird.

Wirklich spannend ist die Bildkomposition, die auf der rechten Bildseite um das Schaufenster mit seinen Spiegelungen und Reflexen an die Tunis-Aquarelle von August Macke denken lässt: unten aufeinandergeschichtete und verschachtelte Drei- und Rechtecke und über den Auslagen die strahlend blauen Reflexe des sich in der Scheibe spiegelnden Sees und der umgebenden Berge. Dieses Blau wiederholt sich in der Schattenpartie eines Sonnensegels auf der linken Bildseite, aus welcher der kleine Vogel ins weite, leicht gebrochene Blau des Naturraums hinauszufliegen scheint. Zur Bildmitte hin verdichtet sich die Komposition: von oben kommt das helle Sonnensegel, das seine Fortsetzung im Dekolleté der Frauenfigur findet, von unten stoßen die beiden dunklen Dreiecksformen, die sich in farbige Ränder auflösen. Von rechts treten die geschachtelten Reflexe hinzu. Auch die beiden Figuren streben dorthin zusammen. Jetzt fällt auf, wie der grün-helle Frauenkörper über die dunkelblaue Fläche gelegt ist und die Komposition dadurch verräumlicht.
Auch in diesem Werk wird zwischen sorgfältig ausgemalten Figuren und Formen einerseits und wolkiger Nass-in-Nass-Technik für Hintergründe unterschieden sowie mittels Komplementärfarben an der Wirkung gearbeitet. Den grundlegenden Kontrast bilden jedoch die beiden kalten Farben Blau und Grün. Ocker- und Rottöne sowie – sehr sparsam gesetzt – Gelb und Rosa lassen den Farbklang strahlen. Gisela Geiger

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