Provenienz enthüllt: „Spaziergang“ von Max Slevogt

Unter dem Titel „Provenienz enthüllt“ stellen wir in einer spannenden Beitragsreihe den Umgang mit der Provenienzrecherche in der täglichen Praxis vor. In unserem zweiten Beitrag erzählen wir über einen spannenden Fall aus unserer vergangenen Sommerauktion.

Im Frühjahr 2023 wurde bei Karl & Faber das 1911 gemalte Gemälde „Spaziergang“ von Max Slevogt (1868 Landshut – Neukastel/Pfalz 1932) zur Jubiläumsauktion eingeliefert. Bei der wissenschaftlichen Katalogisierung des Werkes findet sich eine Suchmeldung zu eben diesem Gemälde in der Lost Art-Datenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste, Magdeburg. Standardmäßig werden in unserem Haus alle vor 1945 entstandenen Kunstwerke mit dieser Datenbank abgeglichen. Das Gemälde betiteln wir im Folgenden als „Spaziergang“, auch wenn es im Laufe der Zeit unter vielen verschiedenen Titeln geführt wurde („Spaziergang“; „Sonnenuntergang“; „Landschaft“; „Landschaft mit Paar im Sonnenuntergang“; „Sonnenuntergang Godramstein“; „Spaziergang – Mailandschaft bei Godramstein“; „Pfälzer Landschaft mit figürlicher Staffage“).

Die nun folgende umfangreiche Provenienz-Recherche führte zu einem erstaunlichen Ergebnis und zeigt, dass nicht alle in der Lost Art-Datenbank gelisteten Kunstwerke automatisch zu einem Restitutionsfall werden müssen. Doch beginnen wir von vorne:

Spätestens seit dem Jahr 1917 ist der „Spaziergang“ im Besitz des Frankfurter Sammlers, Hugo Nathan nachweisbar. In diesem Jahr widmet die Zeitschrift „Kunst und Künstler“ Nathans Privatsammlung eine umfassende und reich illustrierte Besprechung. Der Autor zählt sie damals „zu denen, die durch die gewählte Qualität ihres Bestandes den Kenner und Liebhaber besonders fesseln und immer wieder anregen müssen. Und obwohl die Sammlung erst in den letzten zwei Jahrzehnten (…) entstanden ist, gehört sie zu den besten ihrer Art und fast jedes Werk, das sie enthält, bedeutet eine wertvolle, erfreuliche Bekanntschaft.“ Hugo Nathan begeistert sich in erster Linie für französische und deutsche Malerei der Schule von Barbizon, des Impressionismus und Post-Impressionismus sowie des Realismus, sodass seine umfangreiche Sammlung mit zahlreichen wichtigen Künstlernamen glänzt: Corot, Courbet, Daumier, Renoir, Monet, Pissarro, Toulouse-Lautrec, Van Gogh, Gauguin, Bonnard, Vlaminck, Maurice Denis, Jozef Israëls, Segantini, Hodler, Wilhelm Trübner, Hans Thoma, Max Liebermann, Hans von Marées, Fritz von Uhde, Lovis Corinth, Max Slevogt sowie weitere Künstler der Kronberger Malerkolonie. Mit seinem Tod 1922 erbt Hugo Nathans Ehefrau, Martha die Kunstsammlung. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und den dadurch zunehmenden Repressionen und drohenden Verfolgungen, entscheidet sich Martha Nathan 1938 von Frankfurt in die Schweiz auszuwandern. Jedoch wird ihr gesamtes Umzugsgut vor ihrer Abreise durchsucht und die sich darin befindlichen Ölgemälde, unter anderem das Slevogt-Gemälde „Spaziergang“, beschlagnahmt. Im Mai 1938 übergeben es die Nazis als „wertvolles Kulturgut“ dem Städelmuseum in Frankfurt zur Aufbewahrung, wo es während des Krieges verbleibt.

Das Städel zählt in den letzten Jahren zu den Vorreitern der Provenienz-Forschung an deutschen Museen und hat die eigene Geschichte während der Zeit des Nationalsozialismus intensiv aufgearbeitet. 2011 veröffentlichte der damalige Museumsdirektor, Max Hollein zusammen mit dem Kunsthistoriker, Uwe Fleckner (2003 Gründer der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der FU Berlin) die umfangreiche Publikation „Museum im Widerspruch. Das Städel und der Nationalsozialismus“. Hier findet sich ein 25-seitiges „Verzeichnis der in der Nachkriegszeit restituierten Kunstwerke“, die durch Beschlagnahmungen in Museumsbesitz gelangten und nach 1945 an die rechtmäßigen Besitzer oder die zentrale Sammelstelle in Wiesbaden, den „Central Collection Point“, zurückgegebenen werden konnten. Auch die Rückgabe des „Spaziergangs“ an Martha Nathan wird in dieser Dokumentation aufgeführt (Seite 330).

Dank der Unterstützung von Frau Dr. Iris Schmeisser, Leiterin Provenienzforschung und historisches Archiv des Städel-Museums, konnten wir die Archiv-Akten und umfangreiche Korrespondenz zu diesem Fall in digitalisierter Form einsehen. Diese belegen, dass es Martha Nathan nach langen und zähen Verhandlungen schließlich gelang, drei Gemälde, einschließlich des Slevogts, zurückzuerhalten. Eine mit Datum vom 1. Mai 1952 von Martha Nathan unterschriebene Empfangsbestätigung liegt im Archiv des Städelmuseums vor. Ende der 1950er Jahre gelang das Gemälde dann zurück auf den deutschen Kunstmarkt: 1959 erwirbt es die Frankfurter Kunsthandlung Schneider von Herrn Robert Achard, der es vermutlich im Auftrag des Nachlasses der 1958 verstorbenen Martha Nathan veräußert. Anschließend wird es an den Kunsthandel Albert Daberkow in Bad Homburg verkauft. Zuletzt war es in Süddeutschem Privatbesitz.

Mit diesen ausführlichen Informationen und Archiv-Dokumenten konnte KARL & FABER die Löschung der Suchmeldung in der Lost Art-Datenbank erwirken und das Gemälde in der Jubiläumsauktion im Juni 2023 erfolgreich für 38.100 € (inkl. Aufgeld) verkaufen.

Die Nathan-Erben vertretende US-Kanzlei ließ daraufhin einen neuen Eintrag in die Datenbank stellen, mit dem Verweis auf eine möglicherweise zweite Version des Gemäldes, das 1942 in Paris beschlagnahmt worden sei. Dies steht nun allerdings nicht mehr in unmittelbarem Zusammenhang mit unserem Gemälde.

Christiane Beer