Details

Volk-Knüttel Z 53.

Literatur:
Peter Candid. Zeichnungen, bearbeitet von Brigitte Volk-Knüttel, Ausst.-Kat. Staatliche Graphische Sammlung München, München 1978, S. 48-49, Kat.-Nr. 28, Abb. 102;
Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland, Bd. 3, Freistatt Bayern. Regierungsbezirk Oberbayern. Stadt und Landkreis München Teil 2 Profanbauten, bearbeitet von Anna Bauer-Wild und Brigitte Volk-Knüttel, hrsg. von Hermann Bauer und Bernhard Rupprecht, München 1989, S. 131, Abb.;
Brigitte Volk-Knüttel, Peter Candid. Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik, Berlin 2010, S. 269, Kat.-Nr. Z 53, Abb. 192.

Provenienz:
C.G. Boerner, Düsseldorf, 1960 erworben;
seitdem in Privatbesitz, Nordrhein-Westfalen.

Description

Im sogenannten Großen Garten im Süden der Münchner Residenz, die Herzog Wilhelm I. 1603 vollendet hatte, stand ehemals an der Stelle, wo sich heute der Königsbauhof befindet, ein offener, achteckiger Gartenpavillon, den 1611 der Augsburger Diplomat und Kunstagent Philipp Hainhofer beschrieben hatte: Auf dem Dach stand ein metallener Pegasus und “innwendig in der cupula und an die Wände sein von Pietro Candido die 9 Musae und rondeschkhenweiss mit Musicalischen Instrumentis gemahlet.” Wenig später, 1644, präzisierte der aus Italien stammende, in München als Hofbassist tätige Musiker und Panegyriker Baldassare Pistorini diese Angaben, als er bemerkte, dass “im Gewölbe der Kuppel oder Decke in vergoldeten Nischen mit großer Sorgfalt die neun Musen mit verschiedenen putti gemalt [sind], die einen langen Papierstreifen halten, worauf die Sinnsprüche und Attribute, die zu einer jeden gehören, gekennzeichnet und ausgedrückt sind, wie sie auch das Sinnbild ihrer passenden Wissenschaften in den Händen halten.”
Um 1600 befreiten sich auch nördlich der Alpen die Künste vom traditionell zünftig organisierten Handwerk und fanden als freie Künste Anerkennung – deshalb war das Thema der Musen besonders aktuell, weil sie in ihrer auf Hesiods Theogonie zurückgehenden Überlieferung als die Begleiterinnen Apolls vor allem als Schutzgöttinnen der Künste auftraten. Im Münchner Musentempel waren um Kalliope, der Muse der epischen Dichtung, im Zentrum der Decke die anderen acht Musen in den acht Kompartimenten der oktogonalen Kuppel versammelt – die einzelnen Abschnitte der Decke verjüngten sich nach oben trapezförmig in der Weise, wie es auch unsere Zeichnung zeigt. Es kann deshalb kein Zweifel bestehen, dass es sich um einen Entwurf für die malerische Ausstattung des den Musen gewidmeten Pavillons handelt.
Euterpe, die Muse der lyrischen Musik, steht auf Wolken und bläst die Syrinx, jene Flöte, die sich Pan aus dem Schilf geschnitzt hatte, in das sich die Nymphe Syrinx hatte verwandeln lassen, um seinen Nachstellungen zu entkommen. Auf das Spiel der Euterpe, zu deren Füßen sich Putti mit ihren Musikinstrumenten versammelt haben, bezieht sich die unten auf einer Tafel präsentierte Inschrift, die Pistorini gleichlautend überliefert: “DULCI LOQUIS CALAMOS EUTERPE FLATIBUS URGET” – Euterpe entlockt der Flöte wohlklingenden Hauch. Es handelt sich dabei um Verse aus der sogenannten “Nomina Musarum”, ein im 16. Jahrhundert weitverbreitetes Gedicht, das damals als Werk Virgils angesehen wurde.
Candids Blatt ist bisher die einzige Zeichnung, die sich mit seinen Arbeiten an dem Musentempel in Verbindung bringen lässt, da auch die ausgeführten Gemälde verloren sind. In leichter Untersicht bereits auf den Standort an der Decke bezogen, präsentiert Candid die Muse mit wehendem Gewand in für ihn charakteristischer Weise: Über einer Skizze mit schwarzem Stift, die teilweise von der Gestalt Euterpes abweicht und deshalb sichtbar ist, hat er die Muse sorgfältig mit Feder und Pinsel ausgearbeitet, der er durch die akzentuierende Weißhöhung eine besondere Präsenz verliehen hat. Die Weißhöhung ist gleichsam das Markenzeichen des aus Brügge stammenden, im Umkreis Giorgio Vasaris in Florenz künstlerisch sozialisierten Candid, der diesen Stil in München etablierte, wohin er 1586 gekommen war.
Die Putten zu Füßen Euterpes sind dagegen weniger aufwendig nur als Federzeichnung mit leichten Akzentuierungen durch den Pinsel ausgeführt; sie zeigen sehr schön, dass Candid während der Arbeit an dem Blatt seine Bildidee überarbeitete und präzisierte: Über dem Putto links ist noch seine ursprüngliche Position in der stehengelassenen Vorzeichnung des schwarzen Stiftes sichtbar. Auch wenn die Quadrierung in Rötel für die Annahme spricht, das Blatt hätte als unmittelbare Vorlage für das ausgeführte Gemälde gedient, bleibt fraglich, ob die Putten in der vorliegenden Form ausgeführt wurden, denn Pistorini erwähnt, dass sie Spruchbänder mit den Sinnsprüchen und den Attributen gehalten hätten.
– Unten links eine geringfügige Bereibung, unten rechts ein kleiner hinterlegter Einriss und zarte Grifffältchen. Verso mit Kleberesten ehemaliger Montierung. Insgesamt in guter Erhaltung.
Dr. Peter Prange

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