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EXPERT’S CHOICE

“… eins der ersten Kunst–Genies” (Friedrich Gentz)
bitte als BU

Es ist eine unscheinbare, anspruchslose Szenerie und doch wohnt ihr ein ganz eigener Reiz, ja auch Rätselhaftigkeit inne: Ein kaum bewachsener Hügel, dessen Gestalt auf das Wesentliche beschränkt ist, erhebt sich die Bildfläche nahezu vollständig ausfüllend. Klein, kaum erkennbar steht davor eine Kutsche, die – so lässt die Inschrift “nach Jena” jedenfalls vermuten – auf dem Weg in die thüringische Universitätsstadt zu sein scheint und hier vor dem Hügel Halt gemacht hat. Daneben erhebt sich in dessen Schatten eine kleine Anhöhe, auf der eine Figur offensichtlich in Betrachtung der Landschaft steht. Man geht wohl nicht fehl, in ihr eine Rückenfigur zu erkennen, die die Zeitlosigkeit der prominenten Rückenfiguren Caspar David Friedrichs vorwegzunehmen scheint. Sollte es sich hierbei um den Künstler selbst handeln, der angesichts der Größe der Natur ganz klein wird?
Tatsächlich wohnt der Zeichnung ein protoromantischer Zug inne, doch ist der Zeichner noch ganz der nervösen Verve ausgeliefert, die für viele Zeichnungen der Vorromantik kennzeichnend ist. Der abgekürzte Skizzierstil, der Strukturen und Phänomene umreißt, der Notaten gleich das Gesehene mit heftiger, vibrierender Feder festhält, hat sich noch die Dringlichkeit des Sturm und Drang bewahrt. In seiner Einfachheit und Anspruchslosigkeit ist er Ausdruck eines Temperaments, das sich – ganz dem Erlebnis des Augenblicks und der subjektiven Beobachtung verpflichtet – am Ende des Jahrhunderts auf das Wesentliche besinnt. Seinen eigentlichen Reiz gewinnt das Blatt nicht aus dem dargestellten Gegenstand – es ist keine Vedute und hat auch nur geringen dokumentarischen Wert –, sondern aus der Art der zeichnerischen Annäherung.
Der Zeichner des Blattes ist Friedrich Gilly, jener Hochbegabte, der als Lehrer des großen Klassizisten Karl Friedrich Schinkel Berühmtheit erlangt hat. Ausgestattet mit einem Stipendium des preußischen Königs und einem Empfehlungsschreiben seines Schwagers Friedrich Gentz an Karl August Böttiger in Weimar trat Gilly im Frühjahr 1797 eine Studienreise nach Paris an, die ihn zunächst nach Thüringen führte. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits unstreitig zum führenden Architekten Preußens aufgestiegen. Ein Jahr zuvor hatte er mit seinem visionären Entwurf für das Denkmal Friedrichs des Großen Aufsehen erregt, in dem er die klassische, auf die Antike zurückgehende Baukunst mit den Errungenschaften der Revolutionsarchitektur verband.
Gentz hatte in seinem Schreiben an Böttiger – als Schriftsteller, Philologe und Archäologe eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der Goethezeit – betont, dass es sich bei Gilly um eines der seltenen “Kunst–Genies” handelt, dem man keine Gerechtigkeit widerfahren ließe, wollte man ihn “bloß als einen Architekten” betrachten. Wie eine Bestätigung dieser Worte wirkt unsere kleine Zeichnung, die auf der Reise nach Weimar entstanden ist. Einige weitere Zeichnungen Gillys geben Aufschluss über den Verlauf der Reise: Ende April 1797 hatte Gilly Berlin verlassen, sein Weg führte ihn zunächst nach Dessau und Wörlitz, wo er die Bauten seines Lehrers Erdmannsdorff studierte, über Leipzig und Weißenfels nach Jena, von dort nach Weimar. Auf dem Weg nach Jena ist unser kleines, zeichnerisch reizvolles Blatt entstanden.
Gillys Zeichnungen von seiner Reise nach Paris befinden sich alle im öffentlichen Besitz des Berliner Kupferstichkabinetts; auf dem Kunstmarkt sind Zeichnungen Gillys außerordentlich selten, weshalb unser Blatt eine besondere Offerte und die seltene Gelegenheit ist, ein Blatt von Gilly zu erwerben. – Am Rand oben leicht nachgedunkelt, vertikal geglättete Knickfalten, sonst gut erhalten.
Peter Prange

Mit einer Echtheitsbestätigung von Prof. Dr. Helmut Börsch-Supan, Berlin (in Kopie).

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