Recto: Abstract forms – Verso: Reddish animal
Details
Nicht bei Schardt; Lankeit 662 (Abb. recto); Hoberg/Janssen S. 259, Skizzenbuch XXX, S. 6 und 6 a.
Literatur:
Seiler, Harald, Franz Marc, München 1956, Abb. 23 (SKB S. 6);
Levine, Fredrick S., The Apocalyptic Vision. The Art of Franz Marc as German Expressionism, New York 1979, S. 144 ff., Abb. 47 (SKB S. 6);
März, Roland, Franz Marc, Welt der Kunst, Berlin 1984, Abb. S. 9 (SKB S. 6);
Düchting, Hajo, Franz Marc, Köln 1991, Abb. 60 (SKB S. 6);
Ausstellung:
Franz Marc. Aquarelle und Zeichnungen, Moderne Galerie Otto Stangl, München u. a. 1949/50, Nr. 69 (SKB S. 6);
Franz Marc, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 1963, Nr. 249 (SKB S. 6);
Franz Marc. Gemälde, Gouachen, Zeichnungen, Skulpturen, Kunstverein, Hamburg 1963/64, Nr. 130, Abb. 73 (SKB S. 6);
Kandinsky, Franz Marc, August Macke. Drawings and watercolors, Hutton-Hutschnecker Gallery, New York 1969 (SKB S. 6);
Franz Marc 1880-1916, Graphisches Kabinett – Kunsthandlung U. Voigt KG, Bremen 1970, Nr. 40 (SKB S. 6);
Franz Marc. Zum zeichnerischen Werk, Liechtensteinische Staatliche Kunstsammlung, Vaduz 1971, Nr. 32 (SKB S. 6);
Der Blaue Reiter und sein Kreis (Der Blaue Reiter und die Neue Künstlervereinigung München). Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Graphik, 24. Kunstausstellung, Beethovenhaus, Villingen-Schwenningen 1975, Nr. 118 (1914);
Plavi jahac. Der Blaue Reiter, Muzej Savremene Umetnostri, Belgrad 1976, Nr. 83, Abb. S. 91 (SKB S. 6);
Franz Marc. Gouachen, Aquarelle und Zeichnungen. August Macke. Gemälde, Pastelle, Aquarelle, Zeichnungen und Plastik, Galerie Pels-Leusden, Berlin 1977/78, Nr. 55 (SKB S. 6);
Abstraction: Towards a New Art. Painting 1910-1920, The Tate Gallery, London 1980, Nr. 229, Abb. S. 72 (SKB S. 6);
Franz Marc 1880-1916, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 1980, Nr. 158, s/w Abb. S. 75 (mit Text S. 74 ff.) und s/w Abb. S. 246 (SKB S. 6);
Franz Marc, 1880-1916. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Graphik, Wolfgang Wittrock Kunsthandel, Düsseldorf 1984, Nr. 50 (SKB S. 6);
Galerie Alvensleben, München 1984 (kein Katalog);
Delaunay und Deutschland, Bayerische Staatsgemäldesammlungen/Staatsgalerie moderner Kunst im Haus der Kunst, München 1985/86, Nr. 156, mit s/w Abb. S. 433 (SKB S. 6);
Franz Marc. Zeichnungen und Aquarelle, Brücke-Museum, Berlin u. a. 1989/90, Nr. 165 mit Abb. (SKB S. 6) u. Nr. 166 mit farb. Abb. (SKB S. 6a);
Franz Marc, Kräfte der Natur. Werke 1912-1915, Staatsgalerie Moderne Kunst, München/Westfälisches Landesmuseum, Münster 1993/94, Nr. 81, Abb. S. 228 (SKB S. 6).
Provenienz:
Maria Marc, Ried;
Galerie Stangl, München (Marc-Nachlass Nr. 207, verso vermerkt);
Lempertz, Köln 7.12.1996, Los 937, Farbtafel 19;
Privatsammlung, Nordrhein-Westfalen.
Descrizione
Recto wie verso diverse Bezeichnungen, Werknummern und Nummerierungen von fremder Hand.
Franz Marcs bevorzugte Motive waren die Tiere als Sinnbild von Ursprünglichkeit und Reinheit. In einem Nachruf schreibt Herwarth Walden 1916 in “Der Sturm” über Marcs frühen Tod: “Nun ist ein Künstler gefallen, der nicht fallen kann. Sein Reich ist nicht von dieser Welt. Aber die Erde war ihm heimisch. Die Erde, die Lebendiges erzeugt und Lebendiges trägt. Ihm schien die Erde, ihm redeten die Tiere, die Wälder und die Felsen.”
Marc, der in seinem frühen Werk den naturalistischen Weg beschreitet und zwischen 1904 und 1907 noch seinen eigenen Stil sucht, steht in seinen ersten Arbeiten sichtbar unter dem Einfluss von van Gogh und Gauguin, mit deren Kunst er während seiner Parisbesuche in Berührung kommt.
Auch seine frühe Freundschaft mit dem Schweizer Tiermaler Jean-Bloé Niestlé ab 1905 soll prägend für seine weitere künstlerische Entwicklung sein. Unter seinem Einfluss entwickelt Marc die besondere Vorliebe für das Tier als Motiv. Dabei kommt es nicht mehr nur auf die reale Darstellung an, sondern der Künstler soll sich mehr in das Tier hineinversetzen und sein Wesen beim Malen einfangen.
Ab 1910 zieht Marc mit seiner Lebensgefährtin Maria Franck nach Sindelsdorf, wo er sich in der ländlichen Abgeschiedenheit immer mehr auf die Darstellung von Tieren konzentriert. Marcs Ziel ist die Animalisierung der Kunst, so schreibt er in einem Aufsatz 1910 in Pipers Buch ‚Das Tier in der Kunst‘: “Ich suche mein Empfinden für den organischen Rhythmus aller Dinge zu steigern, suche mich pantheistisch einzufühlen in das Zittern und Rinnen des Blutes in der Natur, in den Bäumen, in den Tieren, in der Luft.”
Neben diesen Überlegungen spielt auch die Bedeutung der Farbe im Werk Marcs eine entscheidende Rolle. Sein Ziel war es sich eine eigene Farbenlehre zu schaffen. So schreibt er im Dezember 1910 an seinen Freund August Macke: “Blau ist das männliche Prinzip, herb und geistig. Gelb das weibliche Prinzip, sanft, heiter und sinnlich. Rot die Materie, brutal und schwer und stets die Farbe, die von den anderen beiden bekämpft und überwunden werden muß!” Diese Farbsymbolik setzt der Künstler nun in seinen weiteren Arbeiten um. Er malt etwa “Blaues Pferd I” (Städtische Galerie im Lenbachhaus, München) und die “Gelbe Kuh” (Guggenheim Museum, New York).
In den ab 1912 entstehenden Gemälden wie z.B. “Der Tiger” (1912) wird der kubistische Einfluss in Marcs Werken immer deutlicher spürbar. Marc, der während seiner Ausstellungen u. a. mit der Neuen Künstlervereinigung München, dem Blauen Reiter und dem Ersten Deutschen Herbstsalon neben vielen unterschiedlichen Strömungen auch die Kunst Braques und Picassos kennenlernt und von den Futuristen sowie von der Kunst des Orphismus des Ehepaars Delaunay begeistert ist, wandelt diese Einflüsse in seinen späteren Werken zunehmend expressiver um. So entstehen bis 1914 Arbeiten, die sich mehr und mehr aus geometrischen Formen zusammensetzen und immer abstrakter werden, doch nicht in der völligen Abstraktion wie bei seinem Weggefährten Wassily Kandinsky enden.
Auch unser vorliegendes beidseitiges Blatt entsteht in dieser Phase, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Die Vorderseite zeigt eine abstrakte Komposition, die sich aus teils überschneidenden Kreisen und Kuben zusammensetzt und vor allem auch aufgrund des schraffurartigen Farbauftrags an die Fensterbilder Delaunays erinnert. Robert Delaunay schuf zudem mehrere Werke zu Kreisformen (Sonne und Mond), die Marc evtl. als Anregung dienten. Der von Marc am dunkelsten ausgeführte Kubus in der linken unteren Ecke gibt der Komposition am meisten Gewicht. Die Kreise im mittleren Bildbereich und am oberen linken Bildrand scheinen fast zu schweben bzw. zu schwingen. Man könnte meinen, dass ein “Ringen der Formen”, ein “Spielen mit den Formen” (Öl auf Leinwand 1914) oder fast ein “Kampf der Formen” wie im Gemälde “Kämpfende Formen” (1914) hier schon zu entdecken ist. Marcs Intention war vermutlich zu Beginn des Ersten Weltkriegs auch der Grundkonflikt der Welt. Im Februar 1914 schreibt Marc: “Die Welt gebiert eine neue Zeit; es gibt nur eine Frage: ist heute die Zeit schon gekommen, sich von der alten Welt zu lösen?” (zit. aus Ausst.-Kat. Lenbachhaus 1980, S. 74).
Auf der etwas kleineren Komposition unseres Blattes bleibt Marc jedoch seiner Tierliebe treu. Im Gegensatz zu seinen früheren Tierbildern um 1910/11 setzt Marc das Tier hier in eine in kubistisch-kristalline Formen aufgelöste Landschaft. Bäume, Blätter, Wiese oder Himmel sind nicht mehr zu identifizieren. Sie sind in einfache abstrakte Formen zerlegt. Das rötliche Tier mittig, das von seiner Körper- und Augenform sowie der Sitzposition an eine Raubkatze erinnert, nimmt die Kopfdrehung aus dem Gemälde “Der Tiger” von 1912 und der frühen Bronze “Der Panther” von 1908 (Städtische Galerie im Lenbachhaus, München) nochmals auf. Auch die Streckung der Vorderläufe ist denen der frühen Bronze ähnlich. Die an sich dunkel angelegte Komposition lockert Marc mit der Verwendung von Rot, Gelb und Grün, die er teils auch mischt und verwässert, dynamisch auf und setzt damit ausgewogene Akzente.
Wie in unserem Blatt und den Gemälden dieser Schaffensperiode verliert das Tier jedoch mehr und mehr an Bedeutung. 1915 schreibt er rückblickend an seine Frau Maria: “Ich empfand schon sehr früh den Menschen als häßlich; das Tier schien mir schöner, reiner: aber auch an ihm entdeckte ich soviel gefühlwidriges u. häßliches, so dass meine Darstellungen (…) instinktiv immer schematischer, abstrakter wurden.” (Briefe aus dem Feld, S. 65 in Susanna Partsch: Marc, S. 49).
Das künstlerische Schaffen findet jedoch ein baldiges Ende, da Marc am 4. März 1916 bei Verdun fällt.
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