Adolph Menzel

Outdoor scene (Girls on a balcony)

Details

Tschudi 268.

Literatur:
Adolph von Menzel. Abbildungen seiner Gemälde und Studien. Auf Grund der von der kgl. Nationalgalerie im Frühjahr 1905 veranstalteten Ausstellung unter Mitwirkung von Dr. F. Schwedeler-Meyer und Dr. J. Kern, hrsg. von Dr. Hugo von Tschudi. München 1905, Nr. 268, S. 198, Abb. S. 199;
Georg Jacob Wolf: Adolf von Menzel der Maler deutschen Wesens. 149 Gemälde und Handzeichnungen des Meisters, Berlin 1915, Abb. S. 94;
19. Kunst & Antiquitäten Messe Hannover, 28. März-5. April 1987, Hannover 1987, S. 31, Farbabb.

Provenienz:
Wilhelm von Krause (1802-1877), Berlin;
Galerie Dr. Hans-Peter Bühler, München;
Privatsammlung Schweiz, 1987 bei obiger Galerie erworben.

Description

Seit mehr als hundert Jahren ist diese Zeichnung unbeachtet geblieben. Seit 1905 keine Ausstellung, keine Abbildung. Eine Zeichnung? Ebenso gut könnte man sie ein Bild nennen, so anspruchsvoll und geschlossen ist die Komposition. Obendrein erratisch im Werk des verwirrend wandlungsreichen Künstlers.
Sie zeigt eine Gruppe heiterer junger Frauen auf einer von Bäumen hinterfangenen Terrasse, eher einem Söller, in erhöhter Lage am Abhang. Was von der Architektur erkennbar wird, die Balustrade, wirkt ganz zeitgenössisch: schlichter, ländlicher Klassizismus. Dahinter öffnet sich die Landschaft: Man ahnt ein Flussufer und erkennt dahinter, wiederum leicht erhöht, eine Kirche. Dorthin, über die Talsenke hinweg, blickt vorgebeugt eine der Frauen. Ihr großes, rotes Umschlagtuch und die flatternden Hutbänder suggerieren den kühlenden Wind eines Spätnachmittags und mit ihm einen Hauch Fernweh – oder nur Neugier? Ihre Gefährtinnen scheinen sich in Geselligkeit erst üben zu müssen: Während ein junges Mädchen das andere zu Spiel oder Tanz auffordert, bleiben die beiden anderen Frauen außerhalb der Handlung. Freundlich dem Betrachter zugewandt die weiß Gekleidete, mit gesenktem Blick sinnend ihre Freundin im gestreiften Kleid, in der man, wie oft in Menzels Werk, seine jüngere Schwester Emilie erkennen möchte. Diese innerlich Abwesende, an die vordere Spitze der Gruppe platziert, macht die allenthalben herrschende Vereinzelung ganz auffällig.
Ein Ausblick aus der Höhe, Frauen auf dem Söller: Diese Motive sind aus der deutschen Romantik wohlbekannt. Caspar David Friedrich hat mehrfach Hinausblickende in Rückansicht vor einer Brüstung gemalt, die sich noch entschiedener als bei Menzel quer von Rand zu Rand zieht. Auf Moritz von Schwinds großem Bild “Die Rose” oder “Die Künstlerwanderung” (1846/1847, Berlin, Nationalgalerie) halten vom hohen Burgsöller das Ritterfräulein und ihre Damen Ausschau nach dem noch fernen Bräutigam. Das heitere Spiel von Überredung und Zögern, Sichabwenden und Vorneigen, die Affinität zum offenen Raum aus wohliger Einhegung heraus könnte man in Menzels Komposition wiedererkennen, würde diese nicht das Entscheidende verweigern: das Reigenhafte, die Eintrachtsmelodie. Zudem verankern Kostüm und Kaffeetassen – Letztere beinahe ironisch – die Szene nachdrücklich in der Gegenwart.
In dieser biedermeierlich gestimmten Idylle wird Romantisches nur angestimmt, um sogleich negiert zu werden. Vor allem ist Entrückung vermieden. Da die bildbreite Balustrade, die die Figurengruppe wie in einem Schatzkästchen einschließt, durch den unteren Bildrand überschnitten ist, entsteht eine Vorstellung von großer Nähe, als ließe sie sich gar übersteigen. Auch der Landschaftsraum ist knapp bemessen, die wenigen Motive rücken nach vorn, kurz: Die Frauen, groß ins Bild gestellt, nehmen alle Aufmerksamkeit in Anspruch, so als wäre in Menzels Vorstellung, im Prozess der Bildentstehung alles Übrige nur Ergänzung und Abschluss.
Erst recht der architektonische Zusammenhang bleibt rätselhaft. Kann es sein, dass die Brüstung rechts an eine Hausecke anschließt? Stellt die graue Fläche hinter der Dreiergruppe ein Stück Mauer dar oder, wie es die Baumstämme nahelegen, einen offenen Raum? Lehnt die junge Frau im dunklen Kleid an einer Säule oder einer Ecke?
Und was hat es mit der scharfen senkrechten Linie über dem Kopf dieser Dame auf sich? In ihrem Verlauf trennt sie zuerst eine hellere Zone links von der dunkleren rechts, während etwas höher die Dunkelheit nach links wechselt; über diesen Bruch aber geht die – flüchtig genug – angedeutete Laubkulisse ungerührt hinweg. Alle diese problematischen Bereiche sind im Modus der Grisaille verblieben – einer Grisaille freilich, die heute deutlich dunkler erscheint als ursprünglich; denn das einst helle Papier ist gebräunt, und so stechen heute die mit Deckweiß behandelten Partien stärker aus ihrer Umgebung heraus, während umgekehrt Laub und Balustrade an Kontrastwirkung verloren haben. Ebenso verband sich die farbig aquarellierte Landschaft links unmerklicher mit dem seinerzeit hellen Himmel, dessen Fläche nur geringfügig grau angehaucht ist. Der Fleckenhandschrift des Hintergrundes begegnet man auf einigen anderen Aquarellen Menzels, namentlich “Alte Straße und Kirche in einer süddeutschen Stadt” aus demselben Jahr 1852 (Berlin, Kupferstichkabinett). Weit schärfer umrissen, runder erscheinen die Figuren, obgleich fast in allen, näher besehen, der farbige Strich sich als zügig und offen erweist. Wo nötig, zögert der in technischen Belangen unorthodoxe Künstler nicht, die Aquarellfarbe mit Bleistiftstrichen zu verstärken, so am Haar eines der Mädchen. Umgekehrt genügen ihm ein paar wohlgezielte winzige Spitzlichter, um die drei zarten Porzellantässchen und ihr Goldornament glaubhaft vor Augen zu stellen.
Das ist die gebrochene Bildlogik – Hinweis auf Vorläufigkeit, auf “Es könnte alles auch ganz anders sein” –, mit der Menzel seine Arbeiten umso leichter ausstatten durfte, wenn sie für einen privaten Kreis oder gar zum Geschenk bestimmt waren. Das ist bei unserem Blatt sichtlich der Fall. Wem aber könnte es zugedacht gewesen sein?
Es ist das späteste von drei aquarellierten beziehungsweise mit dem Pinsel lavierten Gruppenkompositionen aus den Jahren um 1850, die das Thema familiärer Geselligkeit im Freien variieren. Die älteste, eine angeblich vor 1848 entstandene Sepia-Grisaille (einst Sammlung Gerstenberg, heute Sankt Petersburg, Eremitage), zeigt die Familie von Menzels bestem Freund, dem Militärarzt Wilhelm Puhlmann, auf ihrer Potsdamer Gartenterrasse. Die Namen aller Personen sind überliefert, darunter der der Schwester des Künstlers, Emilie. Von dem Künstler selbst ist witzigerweise nur der Hut zu sehen. Anders das zweite Blatt (bis vor Kurzem Sammlung Bernd Schultz, im Oktober 2018 bei Grisebach in Berlin versteigert) mit der Darstellung heiterer Frauen, Mädchen und eines Knaben auf einer sonnigen Wiese: Blumen werden gepflückt, Kränze gereicht. Einiges spricht dafür, auch dieses als Eröffnungsblatt eines Albums gedachte Aquarell mit den Puhlmanns in Zusammenhang zu bringen, obwohl konkrete Personen aus dieser Familie nicht gemeint sein können; ebenso wenig aber finden sie sich in den beiden anderen in Frage kommenden Freundesfamilien Arnold in Kassel und Maercker in Halberstadt. Gleiches gilt für die dritte, hier vorgestellte Komposition. Die Anwesenheit der Schwester Emilie deutet auf einen Anspielungszusammenhang hin, der uns bis auf Weiteres verborgen bleibt.
Claude Keisch

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