Quetta/Pakistan
Details
Provenienz:
Galerie Erhard Klein, Bonn, Lagerkatalog 1978, Nr. 158;
Privatsammlung, München.
Description
Bereits 1969 haben “höhere Wesen” dem jungen Sigmar Polke befohlen: Rechte obere Ecke schwarz malen. Gemäß diesem Auftrag entsteht eines seiner berühmtesten Bilder und seine künstlerische Karriere verläuft zunächst entlang der Malerei. Der Begriff Maler greift jedoch viel zu kurz, Polke ist ebenso sehr Fotograf. In der Rezeption seines Werkes bleibt dies lange unberücksichtigt. Die erste Ausstellung, die Polkes Fotografien würdigt, findet 1990 in der Kunsthalle Baden-Baden statt.
Fotomaterial liefern zu Beginn vor allem Sigmar Polkes Reisen. Das vorliegende Foto trägt den Titel “Quetta”, eine im Westen Pakistans gelegene Stadt. Entstanden ist das Motiv auf der Reise des Künstlers nach Afghanistan und Pakistan. Dargestellt sind Männer in traditionellen Gewändern mit Turban und Fez. Sie lassen sich zum Genuss einer Wasserpfeife nieder. Allerdings wird die Szene von Rauchschwaden verschleiert, der weiße Dunst beherrscht den Raum und verwischt die Konturen. Die der Zeremonie beiwohnenden Männer verschwinden im Nebel.
In der Geschichte der Fotografie besitzt der Nahe Osten eine lange Tradition. Geografisch gesehen war diese Region das nächstgelegene “Fremde”, das sich die Pioniere der Fotografie zum Ziel setzten und erkundeten. Auch Polkes Reise findet auf dem Landweg statt, er legt die Route auf dem Motorrad zurück. Historisch war der Orient der erste Kulturraum, mit dem Europa durch die Fotografie konfrontiert wurde. Bereits mit den frühen Reiseberichterstattungen zeigt sich die Ambivalenz dieses Bildmediums: Fotografie kann einerseits aufklären, andererseits manipulieren, Vorurteile nähren, Klischees unterfüttern. Zwischen der frühen Orientfotografie und Polkes Reise liegen ungefähr 100 Jahre. Zeit genug, um die mediale Überlieferung mit den exotischen Vorstellungen aus “1001 Nacht”, den sagenumwobenen Opiumhöhlen oder den Geschichten Karl Mays zu Stereotypen erstarren zu lassen. Auf diese Bildtradition verweist Polkes zwischen 1974 und 1978 entstandene großformatige Fotoserie. In der Bildfindung beschreitet er einen anderen Weg.
Die eigentliche künstlerische Auseinandersetzung mit dem Motiv beginnt einige Jahre nach der Reise in der Dunkelkammer. Hier wird das Foto während des Entwicklungsprozesses verfremdet. Die Gruppe der Opiumraucher aus “Quetta” verschwindet nun gänzlich im Nebel. Mittels Überbelichtung entstehen weiße Fehlstellen, das Foto zeigt Wischspuren und Kratzer, der obere Rand ist unregelmäßig beschnitten und Knitterfalten zeugen von intensiver Handhabung bei der Entstehung des Abzugs. Die Übermalung des Motivs vollzieht den letzten, alles Dokumentarische hinter sich lassenden Schritt. Feine Farbschlieren tanzen durchs Bild, in dessen Mitte steht eine sonnengelbe Farbpfütze und am oberen Bildrand sickert der strahlende Gelbton in die schwarz-weiße Opiumhöhle ein. In der Fotovorlage zieren Blumenranken als malerisches Element die Wand. Übermalung und Wandbemalung verknüpfen die beiden Darstellungsebenen und schaffen eine neue Bildeinheit.
Sigmar Polke sagte einmal selbst von sich, man könne nicht in einem Vakuum existieren, man sei immer in seiner Zeit verwurzelt. Und so fand er zu seinem zentralen Thema, der Skepsis gegenüber vorgefundenen Bildwelten, dem Abschied von der Eindeutigkeit visueller Wahrnehmung. Das verbindende Element von Fotografie und Malerei bei Polke sei die Skepsis, so Laszlo Glozer. Im Falle von “Quetta” greift Polke das Motiv der Opiumhöhle auf, findet mittels Überarbeitung eines selbst fotografisch festgehaltenen Reiseeindrucks zu einer neuen Bildeinheit, die es ihm ermöglicht, die überkommene Stereotype zu demontieren.
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