
Zwei kleine Aquarelle
Details
Paul Klee Stiftung 1611.
Mit einer Fotoexpertise von Dr. Jürgen Glaesemer, Paul Klee-Stiftung, Bern, o. Datum.
Literatur:
Brief vom 9.2.1918 von Paul Klee an Lily Klee, in: Paul Klee. Briefe an die Familie 1907-1940, Bd. II, S. 904;
Werckmeister, Otto Karl, Versuche über Paul Klee, Frankfurt/Main 1981, s/w Abb. S. 48;
Werckmeister, Otto Karl, The making of Paul Klee’s career, 1914-1920, Chicago 1989, s/w Abb. 50, S. 98;
Kersten, Wolfgang/Okuda, Osamu, Paul Klee. Im Zeichen der Teilung. Die Geschichte zerschnittener Kunst Paul Klees 1883-1940, Düsseldorf/Stuttgart 1995, S. 15f., s/w Abb. S. 331 und s/w Abb. S. 10 (Rekonstruktion);
Anger, Jenny, Modernism and the Gendering of Paul Klee, Diss. Brown University, Providence/Rhode Island 1997, S. 87 u. 89, Anm. 198, u. S. 204, Anm. 22.
Ausstellung:
Württembergischer Kunstverein, Stuttgart 1917;
Neue Münchner Secession, 3. Ausstellung, München 1917/18, Nr. 97;
Württembergischer Kunstverein, Stuttgart 1918;
Der Ararat. Zweites Sonderheft. Paul Klee, Galerie Neue Kunst Hans Goltz, München 1920, Kat.-Nr. 117, o. Abb.
Zwei Künstlerphantasten. Paul Klee und Alfred Kubin, Städtische Kunsthalle, Mannheim 1924, Kat.-Nr. 19;
Paul Klee. Sonderklasse: Unverkäuflich, Zentrum Paul Klee, Bern/Museum der bildenden Künste, Leipzig 2014/15, Kat.-Nr. 22, farb. Abb. S. 184.
Provenienz:
Nachlass des Künstlers/Lily Klee, Bern;
Berner Klee-Gesellschaft;
Sammlung Werner Allenbach, Bern, 1950;
Galerie Rosengart, Luzern, 1958;
Serge Sabarsky Gallery, New York;
Privatsammlung, Deutschland, 1976 bei Vorgenannter erworben.
Beschreibung
• „Miniatürartige Komposition“, die mit Paul Klees einzigartiger „Schnitt-Technik“ entstanden ist
• Abstrahierte Landschaft aus organisch-geometrischen Formen mit zartem Kolorit
• Klee zeichnet diese Arbeit mit dem Prädikat „S.Kl.“ („Sonderklasse“) aus
Paul Klee arbeitet während seiner gesamten künstlerischen Karriere mit einer sogenannten „gestalterischen Schnitt-Technik“, bei der er eigene Werke beschneidet oder ausschneidet und zum Teil zu neuen Gruppen zusammenstellt. Zwar gab es immer wieder Künstler, die bisweilen eigene Werke zerschnitten und Teilstücke davon neu verwendet haben (beispielsweise Édouard Manet, Ferdinand Hodler, Emil Nolde oder Marc Chagall), aber nur Paul Klee benutzte diese Technik zeit seines Lebens so kreativ und selbstverständlich. Seine Vorgehensweise war lange weitgehend unbekannt, bis 1995 Wolfgang Kersten und Osamu Okuda eine wegweisende Dokumentation samt Ausstellung in Düsseldorf und Stuttgart erarbeiteten (Wolfgang Kersten und Osamu Okuda, Paul Klee. Im Zeichen der Teilung, Stuttgart 1995).
Die von Klee zerschnittenen Werke lassen sich in zwei verschiedene Kategorien einteilen. Zum einen können 122 Kompositionen nachgewiesen werden, die Klee mit Schere oder Messer in zwei oder mehr Teile zerschnitten und daraus 270 neue, eigenständige Werke gemacht hat. Zum anderen gibt es 95 zerschnittene Kompositionen, die der Künstler anders wieder zusammensetzt. Bei letzteren Arbeiten „sind die folgenreichen Schnitte unmittelbar erkennbar, zumal Klee den wechselseitigen Zusammenhang von Zerstörung und Aufbau geradezu ausdrücklich veranschaulicht hat. Dagegen lässt ein bloßes Teilstück (der ersten Kategorie) keine direkten Rückschlüsse auf das scheinbar destruktive Verfahren zu. Indem Klee sie als eigenständige Werke auf Kartonunterlagen montierte, betitelte, datierte, nummerierte, mit werkimmanenten Rahmungen und Randleisten versah und in seinem Œuvrekatalog verbuchte, glaubte er, ihre kompositionelle Abgeschlossenheit gesichert zu haben. Diese suggestive Ästhetik lässt die ehemalige Zusammengehörigkeit mit anderen Teilstücken vergessen.“ (a.a.O., S. 11f.).
Klee nutzt die Technik somit zur Selbstkritik am eigenen Werk und nicht wie viele seiner zeitgenössischen Kollegen lediglich für Collagen oder Montagen. Er zerschneidet seine Arbeiten sowohl vertikal als auch horizontal – meist zwei- oder dreifach, seltener vier- und sechsfach – und dreht zudem einige der entstandenen Teilstücke vor der neuen Zusammensetzung. In seinem handschriftlich geführten Werkkatalog weist er vereinzelt auf die Schnitt-Technik mit kleinen Anmerkungen wie „abschnitt von“ oder „seitenstück zu“ hin.
Das kleine Werk „Zwei kleine Aquarelle“ entsteht Anfang 1916 kurz vor Klees Einberufung zum Kriegsdienst. Mit der Aufteilung der einzelnen zarten, hellen Farben in kleine geometrische Flächen erinnert es an die feinen Landschaftsaquarelle, die Klee auf seiner mit August Macke und Louis Moilliet im April 1914 unternommenen Tunis-Reise fertigt. Allerdings handelt es sich hier nicht mehr um eine reale Landschaftsdarstellung, vielmehr zählt das Werk zu einer kleinen Gruppe von abstrakten Aquarellen, die Klee als „miniatürartige Kompositionen“ bezeichnet. „Die beiden Aquarelle bildeten ursprünglich mit zwei weiteren eine einzige Komposition, die insgesamt in sechs Teilstücke zerschnitten wurde und sich nur noch unvollständig rekonstruieren lässt. Klee zeichnete die gesamte querformatige Komposition zunächst mit Bleistiftlinien und kolorierte sie dann nach dem Prinzip ‚eine Farbe für eine Form‘. So erhielt er eine Art Puzzle ohne Tiefenräumlichkeit. Die Farben stimmte er so aufeinander ab, daß sich ein freies Verhältnis von Figur und Grund ergab. (…) Die gesamte Komposition war das, was Klee einen ‚formalen Kosmos‘ nannte: eine abstrakte Landschaft, in der gleichwohl Figuren und Schriftzeichen auszumachen sind. Klee gab das vielgestaltige Gefüge auf, indem er es zerschnitt und einzelne Kompositionsabschnitte verselbständigte bzw. neu zusammenfügte.“ (a.a.O., S. 15f.)
Mit einem trennenden Abstand klebt Klee die beiden schmalen Aquarellstreifen auf einen Karton. Der von ihm gewählte neutrale Titel „Zwei kleine Aquarelle“ gibt keinen Rückschluss mehr auf die ursprüngliche Komposition. Die Arbeit wird 1917 in München, 1918 in Stuttgart und 1920 in München ausgestellt. Etwa Ende der 1920er Jahre reserviert Klee die Arbeit für seine eigene Studiensammlung und bezeichnet sie dafür mit dem Vermerk »S.KI.« (Sonderklasse) auf dem originalen Unterlagekarton. Den Begriff „Sonderklasse“ verwendet Paul Klee in den Jahren zwischen 1925 bis 1933 als spezielle Kategorie für seine eigene Kunstproduktion seit 1901. Die 297 mehr- und einfarbigen Blätter der „Sonderklasse“ zeichneten sich durch eine besondere ästhetische Wertschätzung des Künstlers aus. Dem überaus komplexen System der Klee’schen „Sonderklasse“ widmete sich 2014 die Ausstellung „Paul Klee – Sonderklasse, unverkäuflich“ im Zentrum Paul Klee in Bern u.a., zu der ein umfangreicher Katalog erschienen ist.
Nach Paul und Lily Klees Tod gelangt das Blatt „Zwei kleine Aquarelle“ 1950 über die Berner Klee-Gesellschaft zu Werner Allenbach und 1958 in die Galerie Rosengart, Luzern, anschließend in die Sammlung Serge Sabarsky in New York und 1976 in eine bedeutende deutsche Privatsammlung.
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