Alexej von Jawlensky

Frau mit Tracht (Brustbild einer jungen Frau)

Details

Das Gemälde war ursprünglich doppelseitig bemalt, auf der
Rückseite befand sich das Gemälde „Stilleben mit Figur, Früchten und Landschaft“, um 1909/1910 (CR 2346). 1960 wurden die beiden Seiten getrennt.

Mit einer Echtheitsbestätigung vom Alexej von Jawlensky-Archiv S.A., Locarno, vom 28.10.2004. Das Werk wird in das Werkverzeichnis Alexej von Jawlenskys aufgenommen.

Literatur:
Alexej von Jawlensky-Archiv (Hrsg). Reihe Bild und Wissenschaft. Forschungsbeiträge zu Leben und Werk Alexej von Jawlenskys, Hannover 2004, Nr. 2343, S. 10 mit Abb.

Provenienz:
Professor Rudolf Schwarz, Basel;
Frau Rudolf Schwarz, Basel, 1954 durch Erbschaft erhalten;
Privatsammlung, Schweiz, am 25.5.1955 bei Vorgenannter erworben;
Privatsammlung, 2017 aus Erbschaft bei Vorgenannter erworben;
Privatsammlung, Europa.

Beschreibung

Fest in Rahmen montiert. Zur Katalogisierung nicht ausgerahmt.

• Das vorliegende Gemälde entsteht an einem Wendepunkt von Jawlenskys Schaffen
• Die expressive Farbigkeit und der bewegte Pinselduktus stehen ganz unter dem Einfluss von Van Gogh
• Eindrücke und Einflüsse seiner Reisen in die Bretagne und nach Paris, um 1905/06, und die Begegnung mit Matisse fließen in diesem Gemälde ebenfalls mit ein

„Meine Bilder glühten in Farbe. Ich war tief befriedigt in dieser Zeit.“
Alexej von Jawlensky, 1905

Entspannt zurückgelehnt sitzt sie da, die Frau in Tracht.
Locker vor einem gelb-grünen Hintergrund platziert schaut sie an uns Betrachtenden vorbei in die Ferne. Sie trägt eine weiße Bluse mit leicht gebauschten Ärmeln, dazu einen schwarzen Rock und ein Unterbrustmieder mit roter Verbrämung und aufwendiger Stickerei. Ihre Ohren zieren feine Ohrringe, um den Hals sitzt eng eine Kropfkette und über die Schultern hat sie sich ein feines, fast nicht bemerkbares Tuch geworfen.
Die im Gemälde dargestellte Frau trägt ein für Oberbayern typisches Unterbauchmieder mit reicher Stickerei. Mit groben Strichen fängt Jawlensky das Muster ein und lässt dabei den Malgrund partiell frei. Die Textur des Grundes, der Pinselduktus und die imaginierte Stofflichkeit des Mieders ergeben unter seiner Führung einen reizvollen Dreiklang.
Alexej von Jawlenskys Gemälde präsentiert uns einen Wendepunkt im Schaffen des Künstlers. Nicht nur in diesem Porträt nutzt Jawlensky von nun an flächige Farbhintergründe sowie konzentriert aufleuchtende Farbpartien. Auch in anderen Gemälden dieser Zeit wendet der Maler diese Technik an und hebt so einerseits die dargestellte Person vom Hintergrund ab und schafft andererseits eine farbige Gesamtharmonie. Damit ist Jawlensky nicht allein. Diese Art des Gestaltens findet sich bei vielen anderen Künstlern und Künstlerinnen der Neuen Münchener Künstlervereinigung und des Blauen Reiters. Auch Gabriele Münter, die Jawlensky gut kannte, malt ähnlich wie er einige Jahre später eine Frau in Tracht vor gelbem Hintergrund. Seine Arbeitsweise darf damit in seinem Umfeld als wegweisend verstanden werden – seine neu gefundene Art, Farbe einzusetzen, inspiriert ihn und seinen Kreis nachhaltig.
Das Bild Jawlenskys besticht dabei indes nicht nur durch seine Einbettung in eine in Bayern beliebte Malweise, sondern lässt sich auch in die weitere Kunststimmung der Zeit einordnen. Der Künstler reist im Zeitraum der Entstehung viel. So sieht er Gemälde von van Gogh, trifft Matisse. Er verbringt Zeit in der Bretagne, in Paris und in Wasserburg am Inn. All diese Eindrücke und Begegnungen beeinflussen dabei sichtlich seine Malweise. Die flächige Farbigkeit, wie sie uns aus den Gemälden von Matisse und van Gogh bekannt ist, findet sich nun auch bei Jawlensky. Sind nicht die Porträts van Goghs der Familie Roulin, die dieser 1888 und 1889 schafft, stilistische Geschwister der Frau in Tracht? Hier wie dort verorten die Künstler ihre Modelle vor grellen Farbflächen, die Räume nur erahnen lassen. Und hier wie dort werden die Abgebildeten in einer rauen Schönheit gezeigt, die nicht idealisiert, sondern die Wirklichkeit des Lebens in all ihrer Ästhetik wiedergibt.
Bereits ab 1906 wird die stilistische Nähe zu van Gogh einen Keil zwischen das Kunstverständnis Jawlenskys und seiner Partnerin Marianne von Werefkin treiben. Die ohnehin turbulente Beziehung der beiden Kreativen verändert sich in der Folge auch im künstlerischen Bereich: Werefkin greift ab 1906 nach zehnjähriger Pause wieder zum Pinsel. In bewusster Opposition zu Jawlensky lehnt sie die von ihm präferierte Inspiration ab und findet sie stattdessen in den Arbeiten von Paul Gauguin. Dieser nutzt breite, schwarze Umrisslinien, um Figur und Umgebung zu trennen. Werefkin greift dies auf, zudem sind ihre Arbeiten ab dieser Zeit von Erzählsträngen durchflochten. In der hier angebotenen Darstellung der „Frau mit Tracht“, genau wie in den später folgenden Arbeiten Jawlenskys, finden solche Interpretationsspielräume keinen Platz. Diese Darstellung will nicht zum Erzählen anregen. Die Frau, in all ihrer Präsenz, steht für sich selbst.
Jawlensky verbringt 1905 im Frühjahr Zeit in der Bretagne. Die Region Frankreichs, ebenfalls bekannt für ihre raue Schönheit, wird sein Schaffen stark beeinflussen. Er malt bretonische Motive, greift sie zitierend auf, erlebt einen Farbenrausch und öffnet sich selbst bereitwillig einer neuen Dimension des Malens. Sein Œuvre profitiert nachhaltig von dieser Zeit. Bekannt sind seine Darstellungen von Einwohnern, mitunter in Tracht. Auch seine Partnerin Marianne von Werefkin malt er 1905 mit einem weißen Kopfputz, der sehr an eine Form der Tracht bretonischer Frauen erinnert. Doch malt er in dem hier angebotenen Gemälde auch ein Motiv der Bretagne?
Während es in der Bretagne eine Vielzahl an Trachten gibt, die von Ort zu Ort unterschieden werden müssen, so haben sie doch alle eines gemein: Sie sehen nicht aus wie die, die Jawlensky hier abbildet. Die Inspirationsquelle des Künstlers dürfte dafür nicht an der Atlantikküste gelegen haben, sondern in Wasserburg am Inn. Zwar geografisch weit auseinander, verbindet diese beiden Gegenden doch eines: Für Jawlensky sind sie, wie für viele Künstlerinnen und Künstler der Zeit, Orte der Ursprünglichkeit. Die Sehnsucht nach dem verklärten „einfachen“ Leben, nach in der Großstadt verloren geglaubter Naivität ist es, die auch Münter, Kandinsky und andere dazu bringt, das Landleben zu bevorzugen, Produkte der Volksfrömmigkeit zu sammeln oder eben Menschen aus den Regionen abzubilden.
Den entscheidenden Hinweis für die Herkunft der dargestellten Tracht dürfte der Halsschmuck geben: Zwar finden sich eng anliegende Bänder auch außerhalb Bayerns, etwa um den Witwenstand zu veranschaulichen. Doch besonders in Bayern und im umliegenden Alpenraum machte der Jodmangel historisch das Tragen von Kropfhalsbändern, welche die vergrößerten Schilddrüsen mittels zentraler Schmuckapplikationen verdecken sollten, populär.
Alexej von Jawlenskys Gemälde einer „Frau mit Tracht“ ist ohne Frage ein exzellenter und außergewöhnlich ansprechender Beleg der Meisterschaft des Künstlers. In diesem Werk vereinen sich seine Eindrücke und Inspirationen in einer frischen Komposition mit ursprünglicher Schönheit.

* Alle Angaben inkl. Aufgeld (27%) ohne MwSt. und ohne Gewähr. Irrtum vorbehalten.
** Alle Angaben zzgl. Aufgeld und MwSt. und ohne Gewähr. Irrtum vorbehalten.
*** Unter Vorbehalt: Zuschlag erfolgte unterhalb des Limits. Erwerb des Werkes im Nachverkauf ggf. noch möglich.
R = Regelbesteuerte Kunstwerke
N = Differenzbesteuerte Kunstobjekte mit Ursprung in einem Land außerhalb der EU
Die private oder gewerbliche Vervielfältigung und Verbreitung aller im Ausstellungs- und Auktionsarchiv angezeigten Werkabbildungen ist unzulässig. Alle Rechte vorbehalten.