Details

Richter 177.

Literatur:
Cornelia Richter, Ich weiß eine schöne Blume. Werkverzeichnis der Scherenschnitte, München 1981, S. 134, Kat.-Nr. 177, mit Abb.

Provenienz:
Sammlung Otto Speckter, Hamburg;
Privatbesitz, Norddeutschland.

Beschreibung

Um 1800 wurde die Eiche zum Baum der Deutschen – Friedrich Gottlob Klopstock hatte schon 1769 geschwärmt, die Germanen hätten den Römern in der Herrmannschlacht „wie die Eiche eingewurzelt“ getrotzt und Joseph von Eichendorff schrieb von seiner Heimat als „Land der Eichen“ und verband mit ihnen die Hoffnung auf Einigkeit und Freiheit in Zeiten der napoleonischen Besatzung. Die Eiche wurde in den Befreiungskriegen zum Symbol nationaler Einheit, die bekanntlich damals nicht erreicht wurde. Auch wenn Runge das Zeitgeschehen durchaus kommentiert hat – etwa in seinen Arbeiten Not und Fall des Vaterlandes – und sich mit der germanischen Mythologie beschäftigt hat, ging es ihm in seinem Scherenschnitt eines Eichenzweiges um keine politische bzw. gesellschaftliche Botschaft.
Runge ging es in seinen Scherenschnitten darum, zum „Charakteristischen“ – wie er selbst es nannte – der Pflanze vorzudringen: In einer Mischung aus Abstraktion und Stilisierung, die in der künstlerischen Beschränkung auf Umriss und Fläche Ausdruck findet, wollte er den Organismus der Pflanze, ihre Konstruktion darstellen und offenlegen, ohne dabei die bildliche Gesamtwirkung zu vernachlässigen. Neben dem „Charakteristischen“ forderte Runge für alle Kunstwerke „Regularität“, die sich durch eine ausgewogene, zur Symmetrie neigende Anordnung der einzelnen Pflanzenelemente ausdrückt. Diese „innere Ordnung“ des Wuchses, von Symmetrie und Regularität zeigt auch das Eichenlaub – am Ansatz des Stengels befinden sich zwei Eicheln, die auseinanderstreben, ihnen antworten etwas nach oben versetzt ein dreiblättriger Trieb, um von hier ab in gesetzmäßiger Rhythmik immer abwechselnd und leicht versetzt die Blätter auszutreiben.
Die Pflanzenscherenschnitte spiegeln die besondere inhaltliche Bedeutung der Pflanze für Runges gesamtes künstlerisches Schaffen wider und ihre Symmetrie und Regularität beschreiben die Essenz der Kunst Runges – sie hatte gleichwohl aber auch praktische Bedeutung, weil die Scherenschnitte etwa als Dekoration für Lampenschirme oder auch als Vorlage für fabrikmäßig hergestellten Wandschmuck im Sinne klassizistischer Friese dienen sollte. Sein früher Tod verhinderte solche Unternehmung und auch sein malerisches Werk blieb nur Fragment, doch hatte es zeitlebens einen tiefen inneren Zusammenhang zu seinen Scherenschnitten. Es war Alfred Lichtwark, erster Direktor der Hamburger Kunsthalle, der in Runges Scherenschnitten nicht nur die „naive Kundgebung seines künstlerischen Wesens“ erkannte, sondern auch schon den „Kern der Anschauungen, die er nachher so beredt verfocht“. Gegenüber seinem Freund Johann Heinrich Besser hatte sich bereits der 20-jährige Runge am 25. Dezember 1797 dahingehend geäußert: „Ich wollte doch, daß der Zufall mir statt der Scheere etwas anderes zwischen die Finger gesteckt hätte, denn die Scheere ist bey mir nachgerade weiter nichts mehr als eine Verlängerung meiner Finger geworden, und es kommt mir vor, als wenn bey einem Mahler dies mit dem Pinsel usw. eben der Fall ist, da er denn mit diesem Zuwachs an seinen Fingern seiner Empfindung und den lebhaftesten Bildern seiner Phantasie nur nachzufühlen braucht.“ Zu jenem Zeitpunkt war Runge bereits aus dem mecklenburgischen Wolgast zusammen mit seinem Bruder Daniel nach Hamburg übersiedelt und schickte sich an, Maler zu werden, was nicht ohne innere Konflikte verlief. Die Scherenschnitte blieben aber auch für den Maler Runge eine Konstante seiner Kunst in der Weise, wie er sie 1802 gegenüber dem Verleger und Buchhändler Friedrich Perthes ausdrückte: „(…) ich meine, daß die Figuren, die ich mir denke und zu dem Bilde brauche, in ihrer Kunstwahrheit, in Ansehung dessen, wie sich die Natur in die Idee fügen muß, nur so hinschreiben könne, ohne weiteres großes Studium, eben wie ich mit der Scheere eine Blume ausschneide.“
Dr. Peter Prange
– Mit vereinzelten, mkaum wahrnehmbaren winzigen Fleckchen, sonst gut erhalten.

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