Details

Waldmann 252.

Literatur:
Emil Waldmann, Wilhelm Leibl. Eine Darstellung seiner Kunst. Gesamtverzeichnis seiner Gemälde, Berlin 1914, Nachtrag, Kat.-Nr. 252, Abb. 222 (ca. 1890 datiert);
Emil Waldmann, Wilhelm Leibl. Eine Darstellung seiner Kunst. Gesamtverzeichnis seiner Gemälde, Berlin 1930, Kat.-Nr. 72 (ca. 1867 datiert).

Provenienz:
Professor Edinger, Frankfurt a.M.;
Frau Professor Edinger, Frankfurt a.M.;
Privatbesitz, Süddeutschland.

Beschreibung

„In diesem Leibl ersteht der Welt der Bildnismaler der neueren Zeit, der größte seit Rembrandt,“ schreibt Julius Meier-Graefe in seiner „Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst“ (1904/1924). Auch wenn Meier-Graefe damit einen Galopp durch die Jahrhunderte wagt, so weist er doch auf Wichtiges hin.
Für Leibl war das Bildnis wie für den großen Holländer die zentrale Bildaufgabe in seinem Werk und dennoch möchte man ihn nicht als „Porträtisten“ bezeichnen. Bildnisse entstanden nicht als gesellschaftliche Massenware, sondern jedes einzelne in ausgedehnten Sitzungen und in unmittelbarer Anschauung des Modells. Höchster technischer Anspruch traf auf seelische Tiefe, ohne zu psychologisieren. Für Leibl waren in diesem Punkt die Künstler des 17. Jahrhunderts weitaus vorbildhafter als das, was in seiner Zeit an der Akademie gelehrt wurde, wodurch sich auch die stilistische Nähe zur Kunst Rembrandts ergibt.
Ruhig sitzt uns hier ein älterer Herr gegenüber. Sein Kopf ist ins Dreiviertelprofil nach links gewandt, aber aus den Augenwinkeln nimmt er den Betrachter fest in den Blick. Wie so häufig bei Leibl lenkt nichts in der Komposition von der Darstellung des Menschen ab. Der Bildausschnitt ist so eng gefasst, dass der Mann nur als Brustbild zu sehen ist. Selbst die Hände, die Leibl gern mit ins Bild setzt und die durch einen gehaltenen, persönlichen Gegenstand gelegentlich einen Hinweis auf das soziale Umfeld des Dargestellten geben, sind in diesem Fall nicht zu sehen. Der Name des dargestellten Mannes ist nicht überliefert. So ist der Betrachter bei der Erforschung des Bildnisses ganz auf die Malerei geworfen.
Der Hintergrund ist in Brauntönen gehalten, die nichts von dem umgebenden Raum preisgeben und auch wenig Tiefe suggerieren. Die schwarze Jacke hebt sich kaum vom Hintergrund ab und der ebenfalls schwarze Binder im Reversausschnitt lässt sich nur erahnen. Lediglich die Kragenspitzen des weißen Hemds leuchten klar umrissen heraus und geben dem Gesicht nach unten hin eine akzentuierte Fassung. Das Weiß korrespondiert mit den weiß-grauen Haaren an Bart und Schläfen, die zusammen mit der Halbglatze das fortgeschrittene Alter des Dargestellten offenkundig machen, wie auch die leicht faltigen Tränensäcke und etwas hängenden Augenlider. Zugleich ist der Blick aber dermaßen konzentriert und das nuanciert gestaltete Inkarnat so voller Leben, dass deutlich wird, wie sehr das Gegenüber mitten im Leben steht. Insbesondere die hell ausgeleuchtete, hohe Stirn, die kaum von Falten und erst recht nicht von Sorgenfalten durchzogen ist, weist auf einen wachen, selbstgewissen Geist hin. Prüfend geht der Blick aus dem Bild heraus, ohne anhand der restlichen Mimik offenzulegen, zu welchem Urteil dieser kritische Beobachter kommt. Und doch liegt in den Zügen ein Hauch von Melancholie, gepaart mit wohlwollender Anteilnahme.
Stilistisch ist das Bildnis in die Zeit um 1867 zu datieren, als verschiedene Künstler begannen, sich um Leibl zu scharen, die wenig später den sogenannten Leibl-Kreis mit seiner eigenen Auffassung von Realismus bilden sollten. Mit feinen Pinselstrichen sind die Augen modelliert und einzelne Bart- und Haupthaare aufgesetzt, während ein Großteil des Inkarnats, der Haare und der Kleidung mit gröberen Pinselstrichen aufgetragen ist. Ganz der Idee des „Reinmalerischen“ des Leibl-Kreises verpflichtet, steht das künstlerische „Wie“ über dem erzählerischen „Was“ des Bildgegenstands, der, egal ob mit feinem oder grobem Pinselstrich, nicht aus der Linie, sondern vollkommen aus der Farbe gebildet wird.
Zur Provenienz: Emil Waldmann gibt 1914 als Provenienz „Professor Edinger, Frankfurt a.M.“ und 1930 „Frau Professor Edinger, Frankfurt a.M.“ an. Dabei wird es sich wohl um den renommierten Neurologen und Begründer des Neurologischen Instituts an der Frankfurter Universität Ludwig Edinger (1855-1918) und dessen Frau Anna (1863-1929) handeln. Anna entstammte der wohlhabenden, kunstsinnigen Frankfurter Bankiersfamilie Goldschmidt und konnte ihrem Mann ermöglichen, unabhängig zu forschen und zum Vater der Neurologie in Deutschland zu werden. Sie selbst engagierte sich für wohltätige Zwecke und war über die Grenzen Frankfurts hinaus als Frauenrechtlerin aktiv.
Dr. Marianne von Manstein

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