Heinrich Dreber, gen. Franz-Dreber

Waldlandschaft mit Genoveva und dem Schutzengel

Details

Schöne 32e.

Literatur:
Richard Schöne, Heinrich Dreber, Berlin 1940, im Kapitel „Erhaltene Bilder“, S. 164, Kat.-Nr. 32e.

Ausstellung:
Erste Ausstellung in der Königlichen National-Galerie zu Berlin. Werke des Landschaftsmalers Heinrich Franz-Dreber, 1876, Nr. 6.

Provenienz:
Sammlung Otto und Mathilde Wesendonck, Zürich;
Sammlung Friedrich Wilhelm von Bissing (Enkel der Vorgenannten), Agg bei Oberaudorf;
Grisebach, Berlin, Auktion, 8.6.2002, Los 131;
Privatbesitz, Österreich.

Beschreibung

Die Legende der Genoveva von Brabant war ein Stoff ganz nach dem Geschmack der Romantiker – zur Zeit Karl Martells hatte der Trierer Pfalzgraf Siegfried die Brabanter Herzogstochter Genoveva geheiratet und sie lebten glücklich zusammen, bis Siegfried in den Krieg ziehen musste. Er überlässt seine Gattin der Obhut seines Vertrauten Golo, der Genoveva Offerten macht, die sie allerdings zurückweist. Von der Ablehnung gekränkt, bezichtigt Golo sie des Ehebruchs und verweist auf ihre inzwischen sichtbare Schwangerschaft – in Wirklichkeit hatte sie das Kind in der Nacht vor Siegfrieds Abschied von diesem empfangen. Trotzdem gelingt es Golo, Siegfried von der Untreue seiner Gattin zu überzeugen, die daraufhin zum Tode verurteilt wird. Aus Mitleid aber verbannen sie die Henker in die Wildnis des Waldes, wo sie zusammen mit ihrem Kind allein Trost im christlichen Glauben findet – ihre Treue wird belohnt, Gott schickt ihr die Hirschkuh, die ihren Sohn nährt, und nach Jahren findet Siegfried beim Jagen seine Gemahlin wieder. Von ihrer Unschuld überzeugt, bittet er sie um Verzeihung und führt sie auf seine Burg, wo sie alsbald verstirbt.
Diese Geschichte über Leben und Tod, über Wirren und Abgründe menschlichen Tuns, diese Erzählung voller Wendungen und Überraschungen traf ins Herz der romantischen Gefühlswelt – Ludwig Tieck hatte bereits im Jahre 1800 in seinen „Romantische[n] Dichtungen“ das „Leben und Tod der heiligen Genoveva“ als Trauerspiel erzählt und damit auch in der bildenden Kunst reichlich Resonanz gefunden – Joseph Führich schuf 1824/25 15 „Bilder zu Tieck’s Genoveva“ (heute Prag, Nationalgalerie) und ihm voraus ging bereits 1806 die Stichfolge der Göttinger Brüder Franz und Johannes Riepenhausen, gefolgt von Bearbeitungen des Stoffes durch Moritz von Schwind bis hin zu Ludwig Richter, der 1841 sein Gemälde „Genoveva in der Waldeinsamkeit“ (Hamburger Kunsthalle) vollendet hatte. Zu diesem Zeitpunkt befand sich sein bedeutendster Schüler, Heinrich Franz Dreber, noch in dessen Atelier und es ist sicher, das Dreber die Entstehung des Gemäldes über mehrere Jahre verfolgt hat, bevor er sich in Rom niederließ.
25 Jahre später, als die Romantik schon längst von anderen geistigen Richtungen abgelöst worden war, sollte sich auch Dreber gleichsam als Vollender des romantischen Gedankens 1865 mit diesem Stoff beschäftigen. Er hatte schon zuvor von Otto Wesendonck, Kaufmann und Gönner Richard Wagners in Zürich, den Auftrag erhalten, für das Musikzimmer in seiner neu errichteten Villa acht Landschaftsgemälde anzufertigen. Vier Landschaften sollten mediterrane Landschaften mit Elementen der antiken Mythologie und als Gegenüber vier nordische Landschaften Szenen aus der deutschen Sagenwelt zeigen. Dreber schlug hierfür eine Waldlandschaft mit Genoveva vor, was im Hause Wesendonck auf Begeisterung traf, weil in dieser Zeit Wesendoncks Gemahlin, die Schriftstellerin und Wagner-Verehrerin Mathilde Wesendonck, selbst an einem Genoveva-Trauerspiel arbeitete.
Im Gegensatz zu seinem Lehrer Richter, der seine Genoveva in eine märchenhafte, romantische „Waldeinsamkeit“ versetzte – ein Begriff, der erstmals in Ludwig Tiecks Märchen „Der blonde Eckbert“ auftauchte –, findet sich Drebers Genoveva in einer felsigen, nordisch anmutenden und die Bildgründe miteinander verschmelzenden Schlucht, die weniger an Richter als an ähnliche fantasievolle Landschaften seines Freundes Friedrich Preller erinnert. Die Schlucht ist offen, verwirrend in ihren vielfältigen Felsformationen, aber zugänglich und nicht abgeschlossen wie bei Richter – einzig das dunkle Loch, das links in eine Höhle führt, kündet noch von der Waldeinsamkeit. Auch der religiöse Gehalt, den Richter noch durch seine besondere Lichtregie im Sinne der Romantik betonte, wandelt sich bei Dreber in eine genrehafte Idylle. Es ist keine in sich gekehrte, über den Glauben sinnende Genoveva in der Waldeinsamkeit; sie ist nicht allein, sie hat ihr Kind, das ihr einen Strauch frisch gepflückter Blumen überreicht. Dreber profanisiert das heilige Thema, reduziert es auf eine Genreszene, in der sich Wildnis und arkadische Idylle miteinander verbinden und einzig der Engel noch eine Vorstellung von der Anwesenheit Gottes gibt.
Dr. Preter Prange

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