Friedrich Nerly

Blick über den Bacino di San Marco in Venedig

Details

Provenienz:
Wohl Markwart (oder Olga) Schenk Graf von Stauffenberg;
Alexandra Olga Maria Staelin, geborene Schenk Gräfin von Stauffenberg (1922-2016), Stuttgart, seit 1960 verheiratet mit Rolf Paul Georg Staelin (1913-1985);
in Erbfolge an deren Nachfahren.

Beschreibung

Friedrich Nerly hatte sich nach erfolgreichen Jahren in Rom 1835 eigentlich entschlossen, nach Deutschland zurückzukehren. Über Genua und Mailand, wo er sich 1836 länger aufgehalten hatte, kam er nach Verona. Von dort machte er einen Ausflug nach Venedig – nicht ahnend, dass er die Lagunenstadt nie mehr verlassen würde. Ergriffen von der Schönheit der „Serenissima“ mit ihren berühmten Palästen und Kirchen, von dem Gewirr der kleinen Gassen mit Treppen und Brücken, waren es vor allem die Mondnächte, die zuvor schon unzählige Dichter verzaubert hatten und denen auch Nerly erlag. Sein erstes in Venedig entstandenes Gemälde stellte laut Franz Meyer, dem ersten Biografen Nerlys, die Piazzetta mit der berühmten Markussäule im Mondschein dar, das er sogleich erfolgreich an den preußischen Kronprinzen verkaufen konnte. Es wurde gleichsam zum Signet seiner Tätigkeit in Venedig – nicht weniger als 36 Fassungen sollen existiert haben.
Nerlys Übersiedelung nach Venedig war ein mutiger Schritt, denn im Gegensatz zu Rom, wo Hunderte deutscher Künstler um 1830 in Rom ansässig waren, blieb Nerly in Venedig der nahezu einzige deutsche Maler, der sich auch dauerhaft dort niederließ. Auch war Venedigs Blüte als Kunststadt mit dem Ende des Ancien Régimes 1792 ebenfalls zu Ende gegangen und die Möglichkeiten, als Maler in Venedig sein Auskommen zu finden, waren ungleich schwerer als in Rom, worüber sich Nerly wiederholt beklagte. Er hatte allerdings schnell den Einstieg in die venezianische Gesellschaft gefunden, als er sich mit der Venezianerin Agathe Alexandra Aginovitch verband, Adoptivtochter seines Gönners Marchese Maruzzi, der allerdings als strenggläubiger Katholik nach der Hochzeit dem aus Erfurt stammenden Protestanten Nerly jegliche Unterstützung strich. Nerly war fortan gezwungen, auf dem freien Markt zu agieren und richtete sich im Palazzo Pisani am Campo San Stefano ein, wo er das Atelier Léopold Roberts bezog, das zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt Venedigs wurde, den gleichermaßen Künstler und Venedigreisende besuchten.
Immer noch waren Veduten von Venedig das kommerziell erträglichste Motiv, das sich nach wie vor bei Touristen und Kunstliebhabern aus ganz Europa großer Beliebtheit erfreute und auf eine lange Tradition zurückschauen konnte. Im 19. Jahrhundert Venedig zu malen bedeutete, auch immer das vergangene Jahrhundert im Blick zu haben, die Hochzeit der venezianischen Vedute eines Francesco Guardi, eines Michele Marieschi, Canalettos oder Bellottos mitzudenken – dies gilt umso mehr für eine solch anspruchsvolle Ansicht wie den Blick über den Bacino di San Marco auf Santa Maria della Salute. An der Riva Cà di Dio stehend, wandert der Blick auf Nerlys Gemälde über den Palazzo Dandolo, dem heutigen Hotel Danieli, und den Dogenpalast zur Piazza di San Marco mit den Säulen der Heiligen Marco und Todaro und zur Biblioteca Marciana, während im Hintergrund die mächtige Kulisse von Santa Maria della Salute den Zugang zum Canale Grande bewacht.
Canaletto zeigt in einer von einem vergleichbaren Standpunkt aufgenommenen Ansicht das Becken von San Marco mit dem Dogenpalast an Christi Himmelfahrt (London, National Gallery, Inv.-Nr. NG 4453) – dem für Venedig besonderen Festtag, an dem der Doge vom Bucintoro, der goldenen Barke des Dogen, einen gesegneten Ring ins Wasser warf, der die Hochzeit Venedigs mit dem Meer symbolisierte. Canaletto schildert das bunte und festliche Treiben dieses Tages auf dem Canal Grande ausgiebig, erzählt von der Pracht Venedigs, wie Gondeln und goldene Paradeboote den Bucintoro umgeben, Passagiere Karnevalskostüme tragen und auf den Balkonen des Dogenpalastes sich die Zuschauer drängen, während die den Molo säumenden Bauten sich bis zu Santa Maria della Salute gleichförmig aneinanderreihen.
Was konnte Nerly, für den in Venedig die Veduten- und Architekturmalerei eine neue Erfahrung bedeutete, dem Fest Canalettos entgegensetzen, oder anders gefragt, konnte er der venezianischen Vedutenmalerei neue Impulse geben oder knüpfte er doch direkt an das venezianische Settecento an? Auf den ersten Blick überwiegen die Gemeinsamkeiten – beide Ansichten kennzeichnet eine Detailgenauigkeit, die sich bei Canaletto in der Ferne in einen locker-malerischen Farbauftrag auflöst, während sie bei Nerly, wie es charakteristisch für die romantische Epoche ist, bis in die Fernen präzise bleibt. Doch wirkt die ganze Bildanlage bei Nerly gegenüber Canalettos in die Länge gezogenen Blick komprimierter, insgesamt konzentrierter und verdichtet, auch fragmentierter. Die Bildeinheit Canalettos bricht Nerly auf, die Bauten ragen bei ihm empor und geraten in Bewegung, springen vor und zurück, werden farblich im Licht der untergehenden Sonne akzentuiert, und der allgemeine Eindruck einer regen Geschäftigkeit herrscht vor, die damals auch Venedig bereits erfasst hatte.
Und doch zeigt Nerly nicht das moderne Venedig, sondern wirft einen eher nostalgischen Blick auf die Lagunenstadt. Zu einer Zeit, als schon Dampfschiffe die Lagune bevölkerten, ziehen Lastkähne und Gondeln über den Kanal, sind Segelschiffe mit hohen Masten und Takelagen angelandet, die mit den Türmen und Kuppeln zu wetteifern scheinen und auch aus Gemälden Caspar David Friedrichs stammen könnten. Auch die besondere Inszenierung des abendlichen Lichts, das wie auf Schinkels gotischem Dom hinter Santa Maria della Salute vergeht und auf die Wolken und Gebäude abstrahlt, ist noch genauso romantisches Erbe wie die nahezu spiegelglatte Wasseroberfläche, auf der noch das letzte Sonnenlicht liegt.
Nerlys „romantische“ Venedigansichten, in denen Sonnenuntergänge und Mondnächte vor der Kulisse Venedigs die Hauptakteure geben, gründen auf der Malerei der Romantik, die Nerly zunächst in Norddeutschland durch seinen Förderer Carl Friedrich von Rumohr, danach in Dresden vermittelt wurde, wo er die strengen Abendstimmungen Friedrichs und Carl Gustav Carus‘ gesehen hatte. Auf ihrem Erbe fußt Nerlys nostalgischer Blick über den Bacino di San Marco, der zu einem ähnlich erfolgreichen Motiv wie die nächtliche Piazzetta bei Mondschein wurde – auch von ihr existieren mehrere Fassungen, die sich für ein touristisch orientiertes Publikum als gut verkäuflich erwiesen.
Dr. Peter Prange

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