Flämisch (Matthieu van Beveren-Umkreis)

Corpus Christi

Details

Literatur:
Kunst- und Antiquitäten 6/1982, S. 101, mit Abb. (Urban & Pierigal Kunst- und Antiquitäten–Handels–GmbH);
Christian Theuerkauff, „Addenda to the Small-Scale Sculpture of Matthieu van Beveren of Antwerp“, Metropolitan Museum Journal, New York 1988, S. 139–141, Abb. 28, S. 140.

Provenienz:
Sotheby Parke Bernet & Co., London, Auktion, 22.4.1982, Los 266 (als: attributed to Matthieu van Beveren);
Urban & Pierigal, München, 1982 (als: Matthieu van Beveren);
Privatbesitz, Süddeutschland (in obiger Kunsthandlung erworben).

Beschreibung

Der qualitätsvolle, vollplastisch gearbeitete Kruzifixus ist als Werk der Elfenbeinschnitzerei allein schon wegen seiner Größe von 54,5 cm und Materialbeschaffenheit bemerkenswert: Er besteht, das Lendentuch ausgenommen, aus nur einem Elefantenstoßzahn, die Arme sind nicht angesetzt.
Der gekreuzigte Christus ist im Dreinageltypus mit durchgestreckten, hochgereckten Armen und leicht gebeugten Knien wiedergegeben, um dem natürlichen Verlauf des Stoßzahnes zu folgen. In dieser Haltung war kein Aufbäumen im Schmerz möglich, die Marter musste allein über Körperdehnung, gesenkten Kopf, eng genagelte Füße, durchbohrten Handflächen und die Zeichnung des Gesichts visualisiert werden. Die Darstellung greift den Moment zwischen Leben und Tod auf, die Augen sind noch nicht ganz geschlossen, die Finger schmerzhaft im Todeskampf verkrallt, die Seitenwunde noch nicht zugefügt. Zugleich ist die Skulptur von einer sinnlichen Schönheit, in der die Spuren des Leidens in den Hintergrund zu treten scheinen. Rippen und Muskeln zeichnen sich unter der Epidermis ab, der gelängte Körper ist sorgfältig modelliert und von edler Gesamtform. Bart und Haupthaare sind fein gesträhnt, das dünne, körperbetonende Lendentuch ist kunstvoll in Falten gelegt und ohne Kordel um die Hüften geschlungen. Der Typus des unversehrten, noch von keiner blutenden Seitenwunde gezeichneten Christus am Kreuz mit den hoch gereckten Armen findet sich auf Gemälden des Peter Paul Rubens vorgebildet (Christus am Kreuz, 1615, Alte Pinakothek, München, Inv.-Nr. 339, und Royal Museum of Fine Arts, Antwerpen, 1610/1611). Er wird auch als jansenistischer Kruzifixus bezeichnet, da nach der Lehre des Jansenismus, einer besonders im 17. und 18. Jahrhundert in Frankreich und Flandern verbreiteten Lehre innerhalb der katholischen Kirche nur wenige auserwählt seien, in die Seligkeit zu gelangen. Die Enge zwischen den Armen Christi sollte dies bildhaft ausdrücken.
Typus und Gestaltung des vorliegenden Corpus Christi mit seinem sinnlichen Naturalismus des Leibes sind eng von flämischen Formvorstellungen geprägt, jedoch sind die Einzelformen nicht übersteigert und wölbend bewegt modelliert, wie sie die flämisch geprägten Kruzifixe des Georg Petel zeigen, der die Christusfiguren des Peter Paul Rubens in die Skulptur übersetzt hat. Es besteht vielmehr eine enge Verwandtschaft zu einer kleinen Gruppe von Kruzifixen, die Matthieu van Beveren zugeschrieben sind (u.a. Elfenbein-Kruzifix im Musée Royal des Beaux-Arts, Antwerpen, Buchsbaum-Kruzifix im Museum Vleeshuis, Antwerpen, Elfenbein-Kruzifix in der Sakristei von St. Carolus Borromäus, Antwerpen sowie den bei Lempertz, A 1182, Los 87 und Sotheby’s, London, 9. 7. 2015, Los 172 versteigerten Elfenbein-Kruzifixen). Christian Theuerkauff hat Erstere in seinen „Anmerkungen zum Werk des Antwerpener Bildhauers Matthieu van Beveren (um 1630–1690)“ in: Oud Holland 89, no.1, 1975, S. 19-62, einer stilkritischen Untersuchung unterzogen. In der „Addenda to the Small-Scale Sculpture of Matthieu van Beveren of Antwerp“ ist auch unser Stück zum Vergleich aufgeführt.

Matthieu van Beveren gehörte in Antwerpen zu den führenden flämischen Bildschnitzern seiner Zeit. In seiner Heimatstadt Antwerpen erhielt er seine Ausbildung bei Pieter Verbruggen. 1650 wird er in die Lukasgilde von Antwerpen aufgenommen. Von ihm und seiner Werkstatt sind sowohl Monumentalfiguren in Stein und Holz bekannt als auch kleinformatige Figuren in Bronze, Terrakotta, Holz und eben Elfenbein. Zu seinen bedeutendsten Werken zählt die Elfenbeinskulptur „Amor auf einem Löwen“ im Metropolitan Museum, New York, und die Pietà im Musées royaux d’art et d’histoire, Brüssel.

Gleichmäßige Patina, leichte Verschmutzungen im Bereich der Hinterschneidungen. Der Struktur des Elfenbein entsprechende sehr feine, eingedunkelte Haarrisse und leichte Vergilbung auf der Rückseite durch die fehlende – für die Bewahrung des Zahnbeins eigentlich notwendige – Lichteinwirkung. Beim rechten Fuß Christi wurde der große Zeh wieder angesetzt, die mittleren drei Zehen sind alt ergänzt. Bei der rechten Hand Christi wurden Daumen und drei Finger wieder angeklebt, der Zeigefinger ist abgebrochen. Das Lendentuch weist auf der rechten Seite Christi, d.h. vom Betrachter aus links gesehen, eine Fehlstelle auf; dieser Teil des Tuches wurde alt ergänzt. Ansonsten von schöner Erhaltung.

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