Details

Provenienz:
Nachlass Walter Meier (1894-1952), Thalwil;
August Laube, Zürich, Auktion, 14.11.1952;
Privatbesitz, Schweiz.

Beschreibung

Ein Alter sitzt in einer einfachen, spärlich eingerichteten Kammer, hinter ihm der Ausblick in eine idyllische Flusslandschaft, an einem einfachen Tisch, darauf ein karges Mahl – Brot, ein Beutel (?), eine Amphore. Auf ihn zu tritt – von einem halbnackten Jüngling geleitet – ein Engel, der Schweigen gebietet. Der Alte streckt eine Hand aus, die andere an die Brust gelegt, sein Blick ist streng geradeaus gerichtet.
Die Szene erinnert an die wundersame Heilung des alten Tobit durch den Erzengel Raphael, der Tobits Sohn Tobias auf seiner Reise begleitet hatte und an deren Ende die Heilung des Vaters stand. Tobias hatte auf der Reise einen Fisch gefangen; der Engel wies ihn an, die Innereien aufzubewahren. Bei der Rückkehr strich Tobias seinem Vater eine daraus gewonnene Paste auf die Augen, die dieser wegwischte und wieder sehen konnte. In dem Beutel würde sich dann das Geld befinden, das Tobias für seinen Vater holen sollte.
Das der Epoche des Klassizismus angehörende Aquarell stammt von dem in Kloten gebürtigen, dann in Zürich tätigen Kupferstecher und Zeichner Johann Heinrich Lips, dessen Zeichnungen Johann Caspar Lavater bescheinigt hatte, sie seien „in gutem, edelm, großem Geschmake – richtig gezeichnet, edel behandelt“, und hätten „auch viel Wahrheit in der Expression“. Der sonst vor allem als Kupferstecher bekannte Lips, der für verschiedene Verlage arbeitete, war von Beginn an auch als Zeichner tätig – etwa für Lavaters „Physiognomische Fragmente“ –, und das vorliegende großformatige Aquarell gibt noch einmal einen besonderen Einblick in seine Zeichenkunst. Ein stiller Farbklang liegt über dem Raum, von dessen braunen Holzwänden sich die Gestalten in ihren antikischen, in lichten Farben gehaltenen Gewändern abheben; sanftes Licht fällt auf sie und erfüllt den Raum.
Das Aquarell ist nicht datiert, doch dürfte es am ehesten in den 1780er Jahren entstanden sein, als sich Lips auch vereinzelt mit religiösen Stoffen beschäftigte. Religiöse Szenen hatten in dieser Zeit, dem Zeitalter der Aufklärung, häufig einen lehrhaften Hintergrund, der auch hier über die alttestamentarische Erzählung hinaus eine weitere Bedeutungsebene zu eröffnen scheint: Der alte Tobit kann nach der Rückkehr seines Sohnes wieder sehen und Sehen bedeutet auch Erkennen – das Sehen ist nach dem Verständnis der Aufklärung gleichsam die Grundlage für Erkenntnis. Sobald Tobit wieder sehen kann, reift in ihm nicht nur die Erkenntnis, dass es sich bei dem Begleiter seines Sohnes um göttlichen Beistand handelt, sondern auch, dass er seine Umwelt durch sich selbst wahrnimmt. Verbunden ist damit auf einer weiteren Bedeutungsebene die Ermunterung an den Betrachter, es Tobit gleich zu tun, selbst zu sehen, selbst zu erkennen und sich sein eigenes Urteil zu bilden. Von hier ist es nicht mehr weit bis zu Immanuel Kants etwa gleichzeitig ausgesprochener Aufforderung, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und aus „seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ herauszutreten. – Leicht nachgedunkelt und mit geringfügigen Braunfleckchen. Im Oberrand rechts ein fachgerecht restaurierter Einriss, sonst in guter Erhaltung.
Dr. Peter Prange

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