Johann Heinrich Tischbein d. Ä.

Theseus und Ariadne

Details

Tiegel-Hertfelder G 94.

Provenienz:
Karl & Faber, Auktion 134, 1. Juni 1973, Los 342;
Galerie Reinhold Schumann, Kassel (1989);
Privatbesitz, Norddeutschland.

Beschreibung

Jeder kennt die listige Geschichte von Ariadne und ihrem Faden, den sie ihrem Geliebten Theseus gab, damit er im Palast des Minos den Minotaurus töten und durch die Windungen des Labyrinths herausfinden konnte. In der antiken Überlieferung nimmt die Geschichte der beiden ähnliche labyrinthische Windungen, von denen Plutarch berichtet: Ein Sohn des Königs Minos war in Attika ermordet worden, weshalb Minos in Attika Krieg führte und nur Frieden schloss unter der Bedingung, dass alle neun Jahre sieben attische Jünglinge und Jungfrauen nach Kreta entsendet wurden. Ob sie vom Minotaurus getötet wurden, bleibt unklar, doch als Theseus, der legendäre König von Athen, sich freiwillig meldete, versprach er, diesem Unrecht ein Ende zu setzen. Nach seiner Ankunft auf Kreta verliebte sich Ariadne, die Tochter des Minos, in ihn und half ihrem Geliebten mit der List.

Doch wie fast immer im antiken Mythos endete auch diese Liebschaft tragisch: Theseus ließ Ariadne zurück, was viele Künstler, auch Johann Heinrich Tischbein d. Ä., zu tränenreichen Abschiedsszenen inspirierte. Auf unserem Gemälde ist diese Tragik noch weit weg – hier sind sie vor zwei mächtigen Säulen auf einer Terrasse vereint. Ariadne beugt sich aus ihrem Sessel vor und hält Theseus das Garnknäuel entgegen, um ihm ihre List zu erläutern. Theseus, stehend und von seinem Vorhaben erzählend, deutet mit einer Geste der Demut auf den hinter ihm liegenden Palast des Königs, wo der Minotaurus auf ihn wartet.

Tischbein, aus einer weitverzweigten Hanauer Künstlerfamilie stammend und als Kasseler Tischbein bekannt, präsentiert seine Protagonisten auf einer Art Bühne, nahsichtig und kompakt als Halbfiguren, hinterfangen von einem prächtigen Arrangement aus Vorhang und Säulen. In ihr Gespräch vertieft, tragen sie in ihrer seelischen Beherrschtheit schon Elemente des aufkommenden Klassizismus in sich, doch der spektakuläre Farbklang aus kontrastreichen Rot-, Blau- und Grüntönen verortet das Gemälde noch ganz im 18. Jahrhundert. Das Gleichgewicht aus Repräsentation – die mächtigen Säulen verkörpern noch ganz im Sinne des Barock fürstliche Tugenden wie Constantia und Fortitudo – und intimer Nahsicht ist Resultat der beginnenden Aufklärung. Die kleine, intime Historie aus der Antike, die dem Betrachter unmittelbare Teilhabe am Geschehen ermöglicht, verkörperte für die Zeitgenossen jene fürstliche Eigenschaften, die der aufgeklärte Regent repräsentieren sollte: Beständigkeit und Stärke, Fürsorge und Klugheit, aber auch Weitsicht und Schlauheit.

Tischbein war berühmt für solche stimmig-würdevollen, dabei auch intimen Kompositionen, die sich in der Landgrafschaft Hessen-Kassel höchster Beliebtheit erfreuten. So erwähnt Tischbeins zeitgenössischer Biograf, Joseph Friedrich Engelschall, eine weitere Fassung des Themas, die sich als Supraporte im fürstlichen Residenzschloss befand, doch vermutlich 1811 beim Schlossbrand zugrunde ging. Eine solche Funktion ist für unser hochformatiges Gemälde zwar unwahrscheinlich, doch dürfte es auch aus fürstlichem Ambiente stammen, in dem es zusammen mit dem goldenen, handgeschnitzten Originalrahmen seine souveräne Wirkung entfaltete.

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