Special Preview „Anything Goes“ im Luitpold Lab

Ausstellung der Werke zur Sonderauktion „Anything Goes“ im Luitpold Lab | 13. bis 20. Juni 2022

In Kooperation mit dem Luitpoldblock präsentieren wir ausgewählte Werke unserer Sonderauktion „Anything Goes“, von Montag, 13. – Montag, 20. Juni im Luitpold Lab. Der neue Ausstellungs- und Diskussionsraum wurde in diesem Jahr von der Stiftung Federkiel und der gemeinnützigen Organisation Kreatives Unternehmertum ins Leben gerufen.

Unsere Expertinnen sind von Montag, 13. – Montag, 20. Juni jeden Tag zwischen 14 und 18 Uhr vor Ort und stehen Ihnen für weitere Informationen gerne zur Verfügung.

Adresse:
Luitpold Lab
(Durch den Palmengarten – Treppe in 1. Stock)
Luitpoldblock – Eingang Salvatorplatz 4, 1. OG
80333 München

zu erreichen mit:
Haltestelle Odeonsplatz
U3/U6 und U4/U5
Bus 100/153

Zum Katalog

Jenseits vertrauter Ismen

Eine Erinnerung zur Zukunft der Kunst der achtziger Jahre

 

Die Einladung, einen Text zur Auktion ausgewählter Werke aus einer Hamburger Privatsammlung mit zeitgenössischer Kunst der achtziger Jahre zu schreiben, die wesentlich aus Arbeiten von Künstlern besteht, zu und mit denen ich gearbeitet habe, rief Erinnerungen wach. Erinnerungen nicht nur an die außerordentliche Strahlkraft, die Arbeiten dieser Künstler damals, weit über die Kunstwelt hinaus, entfalteten, sondern auch und vor allem an das, worum es dabei durchgehendging: um Freiheit und Veränderung in der Kunst, um das Zukunftspotential von Kunst als Hoffnungskonstruktion, das sie damals versprachen und das, wie ich finde, unabgegolten ist. Abgesehen von Etiketten wie „Neue Wilde“, „Neo­expressionismus“ und oberflächlich postmodernen Zuschreibungen, steht nicht nur eine historische Neubewertung, sondern auch eine neu zu entdeckende Gegenwärtigkeit dieser Arbeiten an.

 

Das betrifft Künstler dieser Sammlung, wie Walter Dahn, Jiri Georg Dokoupil, Werner Büttner, Günther Förg, Georg Herold, Hubert Kiecol, Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Franz West und Jürgen Klauke. Aber es betrifft natürlich auch an­dere Künstler, wie Francesco Clemente, David Salle, Julian Schnabel, Christopher LeBrun, Peter Schuyff und Donald Baechler sowie Künstlerinnen dieser Generation, wie Rosemarie Trockel, Barbara Kruger, Jutta Koether, Jenny Holzer, Cindy Sher­man, Leiko Ikemura u.v.m.

Angesichts der Werke aus der Sammlung fallen mir zwei meiner Publikationen aus dem Jahr 1984 ein: Ein Katalog zu Gemeinschaftsbildern von Walter Dahn & Jiri Georg Dokoupil¹ und ein Katalog zu Martin Kippenbergers I.N.P.­Bildern², die zu dieser Zeit in der Galerie Max Hetzler in Köln gezeigt wurden.

Die legendäre Künstlergruppe „Mülheimer Freiheit“, der Dahn und Dokoupil angehörten, hatte sich aufgelöst. Aber deren Geist lebte fort in Bildern unerhörter, rückhaltlos freier Offenheit, die auch die Malerei der „Mülheimer Freiheit“ kenn­zeichnete. Sie verdankte sich einer Praxis gegenseitiger Einmischung: „In der Zurücknahme des Egos liegt die wahre Stärke“ (Jiri Georg Dokoupil). Entsprech­end wurde mit Aufhebungen des Künstler­-Ichs in einer fusionierenden Gruppeexperimentiert: Übungen in Nicht­-Identität, wobei egomanische Künstler­-Identi­täten, kommerzielle Wiedererkennbarkeit, Ideologien, konzeptuelle Vorschriften und jede Form von Ismus nicht mehr ernst genommen wurden – in Hinblick auf eineunabhängige, sich permanent neu erfindende Malerei. Ein bis heute einmaliges progressives Projekt. Das Gemeinschaftsbild „Deutsche Weihnacht“ ist ein gutes Beispiel.

 

Kurz nach der Veröffentlichung dieses Katalogs lud Martin Kippenberger mich zu einem Katalog seiner „I.N.P.­Bilder“ (Ist.Nicht.Peinlich­-Bilder) ein. Er hatte nur eine Bitte: Er wünschte sich „Dasselbe in Grün“. Und das sah dann seiner Hal­tung entsprechend aus: voll von Peinlichkeiten, um die es ihm gleichwohl auch ging. Ja, alles Peinliche, alles, was unangenehm, aber wahr ist, zog ihn magisch an. Es war ihm Anlass seiner Arbeiten, die dessen offensichtliche Bloßlegung zu sein hatten: Formen unangenehmer Wahrheiten in ihrer ganzen Blöße. Das schloss sowohl Lebens­ als auch Kunstwahrheiten ein und trug nicht selten Züge zyni­schen Humors: eine Mischung aus moralischer Erregtheit, inhaltlicher Penetranz, entlarvender Sensibilität und dem Talent, dem interessante Formen zu geben, mit oft bitterem Nachgeschmack. Eine Ästhetik der Welt mit runtergelassener Hose, mit offengelegten Unwahrhaftigkeiten, Sehnsüchten und Abgründen, das war sein Projekt. Und das konnte alles sein. Selbst die Rolling Stones (siehe den Leucht­kasten: „We have no problems with the Rolling Stones, because we buy their gui­tars“) oder Mies van der Rohe (siehe dessen Barcelona Chair, überzogen mit einer grünen Folie, auf der die Nummer 157 steht, womit die Regel 157 des Europäischen Patentamts gemeint sein könnte) oder auch er selbst (siehe „Alkoholfolter“).

Vieles verband Kippenberger mit seinen Künstlerfreunden Albert Oehlen, Werner Büttner und Georg Herold. Einige seiner Statements hätten von ihnen sein können, vor allem von Werner Büttner, dessen „Desastres de la Democracia“ Einsichten in diese und andere Desaster in Form von interessanten Text­-Bild-­Kompositionen vor Augen führen, zum Beispiel: „Wer will, dass sein Essen gut wird, muss seine eigene Seele kontrollieren.“ Seine Malerei gibt ähnliche, oft abgründige Szenen in eigenwilligem Duktus zu sehen, zum Beispiel das Bild „Moderne Kunst B(Denn sie wissen nicht, was sie tun.)“.

Georg Herolds Humor widmet sich Ähnlichem, unter anderem der Fragwür­digkeit von Kunst als Bedeutungsträger. Er macht das mit minimalen (z.B. Holz­latten und Backsteinen) und maximalen Mitteln: seine Kaviarbilder sind Komposi­tionen aus echtem, zum Teil einzeln nummeriertem Beluga Kaviar: eine selbst­-kritische Abstraktion als purer Luxus aus purem Luxus.

Ein Highlight der Sammlung ist eine Skulptur von Hubert Kiecol – die Seele der Architektur in Form einer kleinen Treppe auf einem Sockel aus Beton.

Für sich sprechen und stehen Günther Förgs Bronzereliefs. Wie alle seine Raum-­Bilder, die als Wandmalereien, Fotografien, Bleibilder und Bronzen auftre­ten, atmen sie eine angstlose poetische Kraft, die – das Erbe Barnett Newmans annehmend – illusionslose Raum- ­und Zeitempfindungen nahelegen.

Ein Bild fällt aus dem Rahmen: eine verletzte Hartfaserplatte von Imi Knoebel, die das ausschließt, was die anderen bewusst einbeziehen. Ein Beispiel für die Verantwortlichkeit einer Kunst, die angesichts der Unmöglichkeit angemessener Darstellung, diese pariert, indem sie sich von Referenzen in Abzug bringt.

Zum Schluss ein Wort zum Anfang: Schon vor der „Mülheimer Freiheit“ gab es in Köln eine hochkarätige Kunstszene um Sigmar Polke, Bernhard Blume, C.O.Paeffgen³, Marcel Odenbach, Klaus vom Bruch und Jürgen Klauke, mit Bezügen zur Musik­ und Queer­-Szene. Jürgen Klauke zum Beispiel fiel durch Fotoserien auf, in denen er mittels Sexspielzeugen und Travestie-­Utensilien das Medium der Fotografie, das damals noch nicht als Kunst anerkannt war, in einem unerhörten erotischen Formalismus neu erfand.

Alles in allem bietet diese Hamburger Privatsammlung außerordentliche Werke einer Künstlergeneration, die Kunst als Überschreitung versteht. Als Überschreitung des Ästhetischen mit ästhetischen Mitteln, und die das damit verbundene Risiko eingeht, sich die Freiheit zu nehmen, die dafür erforderlich ist. Denn jede ernst zu nehmende Kunst ist der Versuch, das Schicksal in Freiheit zu verwandeln. Dem dient besonders auch der Humor dieser Künstler, war er doch ihr Mittel, die Unmöglichkeit dieser Ambition zu parieren und das Begehren des Unmöglichen für vernünftig zu halten. Denn, wie schon Freud erkannte: „Der Humor ist nicht resigniert, er ist trotzig, er bedeutet nicht nur den Triumph des Ichs, sondern auch den des Lustprinzips, das sich hier gegen die Ungunst der realen Verhältnisse zu behaupten vermag.“

Die Werke der Künstler wissen ein Lied davon zu singen.

 

von Wilfried Dickhoff

 

Dr. Wilfried Dickhoff ist Autor, Verleger, Herausgeber und Kurator zu Kunst und Philosophie. Seit 1983 verfasst er Texte und Bücher, u.a. zu Rosemarie Trockel, Gerhard Richter, Cindy Sherman, George Condo, Georg Dokoupil, Francesco Clemente, Donald Baechler, Marcel Broodthaers, Albert Oehlen, Leiko Ikemura, Brice Marden und Etel Adnan. Gastprofessuren, u.a. an der Princeton University, am kunsthistorischen Seminar der Universität Basel und an „de Ateliers“, Amsterdam.

 

1 Walter Dahn & Georg Dokoupil: Die Afrika Bilder, Hrsg., Text, Gestaltung: Wilfried Dickhoff, Museum Groningen, Groningen 1984.

2 Martin Kippenberger: Die I.N.P. Bilder, Hrsg., Text, Gestaltung: Wilfried Dickhoff, Galerie Max Hetzler, Köln 1984.

3 Dessen Schwester war Nico Päffgen, die Sängerin von Andy Warhols „Velvet Underground“.

4 Sigmund Freud: Der Humor, in: Sigmund Freud: Das große Lesebuch, S. 552, Frankfurt a.M. 2015

 

Eindrücke unserer Special Preview zur Sonderauktion „Anything Goes“ in der Galerie Karin Guenther in Hamburg | 30. bis 31. Mai 2022: